Süddeutsche Zeitung

Fußball-Gewinnspiel:Ihr habt es versprochen!

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Das Schöne an Versprechungen ist ja ihre subjektive Ehrlichkeit: Die gute Absicht war da. Dass mit der Fußball-EM die Gewinnchance entfällt, konnte doch niemand ahnen.

Von Joachim Käppner

Wer dieser Tage ein Glas einer bestimmten Schokocreme ersteht, erhält neben der hochkalorischen Versuchung auch ein Ticket in eine bessere, schönere Welt. Man muss im Deckel nur die richtige Nummer des Gewinnspiels finden, und wenn nicht, kauft man einfach ganz viele Gläser davon, bis sie dabei ist, und bald schon wird man in London sein, herrlich, alles bezahlt von den Schokoleuten, und schaut sich ein EM-Spiel an. Es sind nämlich, schreiben die Schokoleute, "1.111 Goldgewinne zur Teamstickeraktion versteckt", und was immer das bedeuten mag, London und die Fußball-Europameisterschaft warten schon auf dich.

Leider wird der Werbeeffekt getrübt durch den Umstand, dass die Europameisterschaft gar nicht stattfinden kann, weil die Corona-Krisenmanager so gar kein Verständnis für 1 111 Goldgewinne aufbringen und das Fußballfest einfach gestrichen haben. Aber da waren die Schokogläser schon in den Läden und Küchenregalen und auch die süßen Riegel und Keksrollen mit den Sammelbildern für den tollen Fußballsommer. Hier ist eine ganz eigene, durchaus analoge Nebenrealität entstanden, samt Alben und Aufklebern: Fußballer, die für Spiele gewürdigt werden, die es nicht geben wird.

Dinge zu versprechen, die man nicht halten kann, ist zwar ein wichtiges Element jeder Werbestrategie: die Zahnpasta, die aus dem Geraffel ein strahlend weißes Blendgebiss macht; der SUV, der den übergewichtigen älteren Herren in einen zweiten James Bond verwandelt, nur besser; die Gesichtscreme, welche die Spuren des Lebens wegzaubert; das Kraftfutter, das aus der verhätschelten und tückischen Töle einen stolzen Wolf macht. Aber der Fall der Schokoleute liegt natürlich anders, denn im Zweifel hätten sie ihre Verheißungen ja eingelöst.

Erst an die Isar, dann das Abi

Andererseits wird das Leben ja von großen Versprechungen zusammengehalten; früher ging es darum, goldene Berge zu versprechen oder das Blaue vom Himmel. Regierungen versprechen blühende Landschaften, ein Herz für die Schwachen, Wohlstand für alle; nur müssen die Bürger bitte verstehen, dass es hier um langfristige Prozesse geht, die nicht unmittelbar in die Optimierungsphase übergehen können.

Der gestresste Büromensch versichert seiner Partnerin wieder und wieder, bald, sehr bald schon werde er sich absolut paritätisch und gerecht an Haushalt, Lebensführung und Kinderbetreuung beteiligen, damit auch sie sich beruflich entfalte; nur genau jetzt ist leider kein so guter Zeitpunkt. Die 17-Jährige präsentiert ihren fordernden Eltern einen Masterplan zur Vorbereitung auf das Abitur, gewissenhaft, fleißig, selbstorganisiert; er wird umgesetzt, sobald die Zeit gekommen ist, nur heute und morgen muss sie dringend mit den Freunden an die Isar.

Oder die uralte Verheißung, weniger mit den Zechnasen ins Wirtshaus zu gehen; das große österreichische Künstlerduo Seiler und Speer hat in seinem Hit "Ham Kummst" das Problem eindrucksvoll umrissen, das aus solchen Ankündigungen bei Nichtlieferung folgt:

"Letzte Nocht woa a schware Partie fia mi / Dass i ned glei ham kum, woa vu Aufaung au kloa / Letzte Nocht, woa a schware Partie fia mi / I kau mi ned erinnern wos gestan woa.

Und sie sogt: Waunst amoi nu so ham kummst / Sama gschiedane Leid / Waunst amoi nu so ham kummst / Host die Scheidung, mei Freind."

Das Schöne an Versprechungen: ihre subjektive Ehrlichkeit

Das Schöne an den Versprechungen, ganz bald alles besser zu machen, ist ihre subjektive Ehrlichkeit. Der gestresste Büromensch sieht sich mit den Kindern die seit Wochen versprochene Riesenlegoburg bauen, ein glücklicher Mann, im Reinen mit sich und der Welt. Ein Mann, der beim Erstellen des Torturms keinen Gedanken an seinen undankbaren Chef und die intrigante Abteilungsleiterin verschwendet, über die er daheim sonst in erheblicher Ausführlichkeit berichtet und klagt.

Kinder allerdings haben, anders als Erwachsene, die im Versprechen, alles werde sich demnächst zum Guten ändern, einen vorsichtshalber nicht näher hinterfragten Trost finden, keine Geduld dazu; sie fordern es ein, wieder und wieder, der Satz "Du hast es versprochen!" ist ihre schärfste Waffe.

Das könnte noch ein Problem für die Schokoleute werden, wenn sich die Käufer und Losgewinner bei ihnen melden und rufen: "Ihr habt es 1.111 Mal versprochen!"

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SZ vom 20.06.2020
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