Süddeutsche Zeitung

Freizeit:Wie das Brettspiel "Watergate" die Ukraine-Affäre erklärt

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Wer die aktuellen Ereignisse in Washington besser verstehen will, sollte in die Vergangenheit schauen. Dazu braucht es keinen Historiker, sondern nur einen Mitspieler, der bereit ist, Richard Nixon zu sein.

Von Daniel Wüllner

Watergate gilt noch immer als der größte politische Skandal der US-Geschichte, im Zentrum stand damals ein machtgieriger Präsident, der skrupellos die Grenzen der Legalität ignorierte. Und weil sich Geschichte manchmal halt doch wiederholt, passt das nun ganz gut: Auch im Herbst 2019 sitzt ein machtgieriger Präsident im Weißen Haus, der die Grenzen der Legalität zumindest ausdehnt.

Das Brettspiel "Watergate" des deutschen Spieleautors Matthias Cramer ist gewissermaßen das Spiel zur Wirklichkeit, und zwar der damaligen wie der heutigen. Eigentlich war die Veröffentlichung erst für 2020 geplant. Der deutsche Verlag "Frosted Games" hielt es aber für besser, das Spiel schon jetzt auf den Markt zu bringen, im Sommer dieses Jahres: Die Realität ist schließlich das beste Verkaufsargument. Wer die aktuellen Ereignisse in Washington besser verstehen will, sollte in die Vergangenheit schauen. Dazu braucht es aber keinen Historiker, sondern nur einen Mitspieler, der bereit ist, Richard Nixon zu sein.

In dem Spiel kämpfen zwei Kontrahenten um die historische Deutungshoheit. Die Aktionen, die dem Nixon-Spieler zu Verfügung stehen, ähneln Donald Trumps Handlungen: Um einem Impeachment zu entkommen und wiedergewählt zu werden, schmeißt er hochrangige Mitarbeiter raus. Hinweise verschwinden spurlos. Das Weiße Haus verweigert jegliche Kooperation. Auch der Anwalt des Präsidenten steht unter Verdacht. Als Washington Post muss Nixons Gegenspieler die Anschuldigungen beweisen. Dazu legt er Hinweise auf den Spielplan und stellt direkte Verbindungen zwischen dem Präsidenten und belastenden Zeugen her.

Geschichte ist Auslegungssache

Ein Brettspiel kann Politik manchmal besser erklären als jedes Schulbuch, und Brettspiele haben selbst eine Geschichte der Geschichtsvermittlung. Bereits im 19. Jahrhundert spielte Friedrich Wilhelm III, König von Preußen, historische Schlachten mit Holzfiguren auf Brettern nach. Im 20. Jahrhundert erweiterten Titel wie "Diplomacy" und "Twilight Struggle" das Spektrum um Diplomatie und geschichtliche Ereignisse. So lassen sich der Kalte Krieg, aber auch US-Wahlkämpfe auf Karton nachspielen. All diese Brettspiele haben eine Gemeinsamkeit: Es liegt in der Hand des Spielers, dass die Geschichte sich dann doch nicht wiederholt.

"Watergate" zieht seine Kraft tatsächlich aus der Möglichkeit einer alternativen Geschichtsschreibung: Hätte Nixon ohne das sogenannte "Samstag-Nacht-Massaker" (die Rücktritte des Justizministers und seines Stellvertreters sowie der Rauswurf des Chefermittlers Archibald Cox) vielleicht nicht zurücktreten müssen? Wären die Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein auch ohne den Whistleblower "Deep Throat" dem Geld des Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten gefolgt? Der Weg zum Spielziel - Amtsenthebung oder Machterhalt - ist nie geradlinig. Geschichte ist, während sie entsteht, keine feste Abfolge von Ereignissen, wie sie ein Film oder Geschichtsbuch rückblickend beschreiben.

Und deshalb ist auch das Ergebnis ungewiss. Bloß weil eine der beiden Seiten vielleicht im Recht ist, steht sie keineswegs als Gewinner fest. Beweise sind ja auch in der Ukraine-Affäre Auslegungssache. Nur die Seite, die sie zum richtigen Zeitpunkt ausspielt, wird die Öffentlichkeit von ihrer Version der Wahrheit überzeugen können.

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