Süddeutsche Zeitung

Familien-Newsletter:Warum fallen manche Kinder durch das Raster?

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Unser Autor hat eine besondere Wohngruppe für schwierige Jugendliche in Goslar besucht. Einzige Regel: Hier fliegt niemand raus. Ist das der richtige Weg, Systemsprenger zu erreichen?

Von Julian Gerstner

Dieser Text stammt aus dem Familien-Newsletter der Süddeutschen Zeitung, der jeden Freitagabend verschickt wird. Hier können Sie ihn abonnieren.

Liebe Leserin, lieber Leser,

haben Sie den Film "Systemsprenger" gesehen? Ich weiß noch genau, wie sehr mich die Geschichte mitgenommen hat. Es geht um Benni, ein traumatisiertes Mädchen, das keiner will, weil es überall Ärger macht - in der Psychiatrie, in der Sonderschule, im Heim. Benni wird herumgereicht wie eine tickende Bombe, die jeden Moment in die Luft gehen könnte.

Ich musste in letzter Zeit oft an den Film denken (wer ihn nicht kennt, Juliane Liebert hat hier über ihn geschrieben), als ich selbst zu Systemsprengern recherchiert habe. Zweimal war ich in Goslar, um mir ein besonderes Wohnkonzept anzuschauen. Hier leben fünf Jugendliche, die alle wie Benni im Film schon aus anderen Einrichtungen geflogen sind. Manche müssen Sozialstunden leisten, weil sie Scheiße gebaut haben. Manche sind in Therapie, weil andere Scheiße gebaut haben. Keiner geht zur Schule, niemand macht eine Ausbildung. Die wenigsten haben Kontakt zu ihren Eltern.

Weil die Biografien von Abbrüchen geprägt sind, hat sich der Leiter der Wohngruppe für einen unkonventionellen Ansatz entschieden: Hendrik Ruppert schmeißt hier niemanden raus. Nicht, wenn bei Wutausbrüchen Türen oder Schränke zu Bruch gehen. Auch nicht, als ein Bewohner auf einen Kollegen losgegangen ist, weil es Streit um den Laptop gab, den alle Jugendlichen nutzen können. Funktioniert Hilfe, die keine Bedingungen stellt? Dieser Frage bin ich in meinem Text nachgegangen.

Hendrik Ruppert hat selbst Kinder. Er hat mir erzählt, dass er versucht, die beiden Welten so weit wie möglich auseinanderzuhalten. Klappt nicht immer. Als in der Schule seiner Tochter zwei störende Jungs zeitweise in eine andere Klasse versetzt wurden, hätte er sich als Vater eigentlich freuen können. "Ist doch gut, dann hat meine Tochter Ruhe." Als Pädagoge dachte er aber: "Liebes System Schule, habt ihr vorher wirklich alles andere versucht?" Du bist zu anstrengend, wir schmeißen dich raus. Das sei genau die Botschaft, die auch die Jugendlichen in Goslar nur zu gut kennen.

Ich frage mich: Wie sollte eine Lehrkraft denn damit umgehen, wenn der Unterricht dauerhaft gestört wird? Sie muss ja nicht nur den Störern gerecht werden, sondern auch denen, die sich gestört fühlen. Mich würde interessieren, wie Sie das sehen. Kennen Sie solche Situationen aus Ihrer eigenen Kindheit? Aus Erzählungen Ihrer Kinder? Oder aus der Arbeit, weil Sie selbst unterrichten? Und: Lässt sich das Problem überhaupt in der Schule lösen? Ich freue mich, wenn Sie mir schreiben.

Ein schönes Wochenende wünscht

Julian Gerstner

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