Süddeutsche Zeitung

La Boum:Weiße Holztafeln

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Die Kolumne "La Boum" klingt immer nach Party, nur gibt es eben Wochen, die keine Party sind. Diese ist so eine.

Von Nadia Pantel

Diese Kolumne heißt übrigens "La Boum", weil alle anderen Ideen deutlich schlechter waren. Jemand hatte vorgeschlagen, die Kolumne "C'est la vie" zu nennen, und ich habe das für solche Fälle zuständige Gremium gefragt, ob das gut klingt. Das Gremium ist eine Frauen-Chatgruppe. Eine der Teilnehmerinnen dieser Gruppe fotografierte nach dem ersten Lockdown folgenden schönen Satz in einem Buch und teilte ihn mit uns: "Von 2020 an steht hinter jeder tollen Frau ein Frauen-Gruppenchat." Die Schriftstellerin Ece Temelkuran hat das geschrieben und es stimmt. Jedenfalls sagte der Chat: "C'est la vie heißen nach kurzer Recherche eine öffentliche Sprachlernsendung, eine Isolierflasche und eine Nagelstudio-Kette."

Die Frauen-Chatgruppe brauchte genau acht Minuten, um den Gegenvorschlag "La Boum" vorzulegen. Ohne Begründung. Mir gefiel der Sound, boum, und dem zuständigen Redakteur gefiel, dass ich so begeistert klang, als ich den Namen vorstellte. Nun steht da also jeden Samstag "La Boum" und das klingt immer nach Party, denn das heißt es ja auch. Nur gibt es eben Wochen, die überhaupt keine Party sind. Diese ist so eine.

Es gibt Nachrichten, die erwischen einen mehr als andere. Diese erwischte mich

Ich war gerade dabei, den Tisch zu decken, als ich auf meinem Handy die Nachricht sah: "Mindestens 20 Flüchtlinge im Ärmelkanal ertrunken." Es gibt Nachrichten, die erwischen einen mehr als andere. Diese erwischte mich. Das Boot war in der Nähe des Hafens von Calais gekentert. Dort, wo ich vor genau einem Jahr hingeschickt wurde, um zu schauen, wie man sich am Eurotunnel auf den Brexit vorbereitet. Ich weiß noch, wie kalt es damals dort war, wie feucht und nebelig. Und wie die Menschen vor ihren kleinen Zelten hockten. Hier fünf hinterm Einkaufszentrum, dort ein paar hinter einem Baum, 50 campierten zwischen Feldern. Die Stadtverwaltung wusste davon, neben dem Feldweg war auf einem hohen Pfeiler eine Kamera angebracht, die sich hinter mir her drehte, als ich an ihr vorbei zum Camp lief.

Als ich für ein Interview zu dem Büro der Caritas lief, räumten dort Menschen gerade Kissen und Kerzen beiseite. Ah, dachte ich, nett, ein improvisiertes Café. Dann wurde mir erklärt, dass sie gerade eine Beerdigung gefeiert hatten, ein junger Mann war von einem Lastwagen überfahren worden. Er wollte nach England. Im Hof der Caritas sprach ich mit dem Mann, der von dem Toten das Zelt übernommen hatte. "Ich kann es mir nicht leisten, lange traurig zu sein", sagte er. Ich ging auf den Friedhof und suchte das Grab des Mannes. Es gibt dort einen eigenen Teil nur für Flüchtlinge, weil hier seit Jahren so viele sterben. Auf weißen Holztafeln stehen die Namen der Toten.

"Der Ärmelkanal darf kein Friedhof werden", sagte Emmanuel Macron am Mittwoch. Und ich dachte an diese weißen Holzplatten. Der Mann, der damals starb, hieß Mohamed Khamisse Zakaria. Aus Calais haben sie eine Handvoll Erde vom Grab in ein Flüchtlingscamp nach Darfur geschickt, dort leben die Eltern von Zakaria.

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