Süddeutsche Zeitung

Buschbrände in Australien:Handarbeiten aus Tierliebe

Lesezeit: 3 min

Wombat-Beutel, Fledermauswickel, Känguru-Taschen: Für die verletzten Tiere in Australien wird in der Community gerade heftig genäht und gestrickt.

Von Jan Stremmel

Mit Koalas hatte Julia Sesto bisher wenig zu tun. Eigentlich kümmert sich die Münchnerin in ihrer Freizeit um verletzte Eichhörnchen. Aber Tiere sind Tiere. Und so steckt sie ihre Energie derzeit in Wickeltücher für Flughunde, Handschuhe für Koalas und Umhängetaschen für Kängurus.

Die Buschfeuer in Australien haben weltweit beispiellose Solidarität ausgelöst. Auf Facebook wurden in dieser Woche mit einem einzigen Aufruf knapp 30 Millionen Euro für die Feuerwehr gesammelt. Hollywood-Stars werben um Spender, aus Kalifornien sind Feuerwehrleute ins Katastrophengebiet gereist. Eher wenig hat man bisher von den Tausenden Tierfreunden gehört, die sich als Reaktion auf die Brände weltweit an ihre Nähmaschinen gesetzt haben.

Vergangene Woche postete der australische Tierrettungsverband Animal Rescue Collective einen Beitrag auf Facebook. Darin riefen die Helfer die Bevölkerung auf, Hilfsgüter für verletzte Tiere zu nähen oder zu bauen. Von Taschen für verwaiste Känguru-Babys, sogenannten "Joey Pouches", über Häkelnester für Jungvögel bis zu Holzkisten für Opossums.

Am Mittwoch schätzten Experten der Universität Sydney, eine Milliarde Säugetiere, Vögel und Reptilien sei in den Flammen umgekommen. Ein Albtraum für die ökologische Vielfalt des Kontinents. Wildtier-Auffangstationen sind restlos überfüllt, auf Fotos sieht man Kängurus, die versorgt werden. Videos von schreienden Koalas, die mit versengten Ohren durch brennende Wälder irren, kursieren im Netz. Das Leid ist schwer zu ertragen.

Julia Sesto, von Beruf Journalistin, war so schockiert, dass sie sich am vergangenen Wochenende entschloss, etwas zu tun. Sie ist unter Tierfreunden gut vernetzt. Am Samstag gründete sie also eine Facebook-Gruppe namens "Deutschland hilft Australiens Wildtieren!".

Die Frage ist: Wie kommt das Zeug nach Australien?

In der Gruppe diskutieren nun rund um die Uhr engagierte Handarbeiterinnen über Schnittmuster für "Fledermauswickel", mit denen verwaiste Flughunde eingerollt werden. Man tauscht Anleitungen für Wombat-Beutel in diversen Größen aus oder bietet an, gespendete Stoffballen zwischen Birkenwerder und Wittenau zu transportieren. Bis Donnerstag hatten sich der Gruppe knapp 10 000 Nutzer angeschlossen.

Etwa Simone Will aus Hamburg, die einen Verein für Flüchtlingskinder leitet. Am Donnerstagvormittag hat sie mit fünf Freiwilligen und drei Maschinen gut 50 Teile genäht, sagt sie am Telefon. Bärbel Gallas aus Kiel hat sich für kommenden Montag mit acht Frauen zum Häkeln und Stricken verabredet. In Dresden hat Jaqueline Gräfe acht Helferinnen zusammengetrommelt, in Köln nimmt sich der Maßschneider Carlo Jösch einen Tag frei, um für die Tiere zu nähen.

Es gibt, Stand Donnerstag, bundesweit 14 Sammelstellen, in denen die fertigen Taschen und Nester verladen werden sollen, Ende des Monats soll alles verschickt werden. In nur fünf Tagen ist aus einer kleinen Gruppe Eichhörnchenfreunde eine bundesweit agierende Graswurzelorganisation entstanden. Die Frage ist nur, wie die Sachen nach Australien kommen. Per Schiff? Zu langsam. Per Luftfracht? Sehr teuer. Julia Sesto hat überschlagen, dass allein das Porto mehr als 20 000 Euro kosten würde. Sie hat die Lufthansa um einen Sonderrabatt gebeten - die Sache werde "geprüft", erfährt man dort.

Dazu kommt das Problem mit der Einfuhr. Australiens Zollbestimmungen gelten als extrem streng. Wird man Kisten voller handgenähter Textilien überhaupt ins Land lassen? Julia Sesto sagt, sie bitte alle Helferinnen, nur neue Kartons zu verwenden. Sie dürften vorher keinesfalls Kontakt zu Lebensmitteln gehabt haben, die Stoffe müssten außerdem gewaschen und komplett frei von Tierhaaren sein. Bestimmte Taschen und Nester dürfen obendrein nur aus bestimmter Wolle hergestellt und mit in Australien genehmigter Füllwatte gestopft sein. "Es ist kompliziert."

Private Hilfsaktionen wie die der Näherinnen sind nicht neu, aber in Zeiten von Facebook immer häufiger. Im europäischen Fluchtsommer 2015, nach Hurrikan Sandy, nach dem Erdbeben in Haiti oder im Schneechaos des letzten Winters: Von Bürgern patent organisierte Hilfe in Notlagen gehört mitunter zu den schönsten Dingen, die die sozialen Medien hervorbringen.

40 000 Pullover für Pinguine nach einer Ölpest

Das Engagement hat aber gelegentlich auch Nachteile. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 rollte laut Helfern ein "Tsunami" an ungefragt eingeschickten Hundeschuhen aus aller Welt über sie hinweg, weil ein TV-Sender berichtet hatte, dass die Spürhunde sich in den Trümmern gelegentlich die Pfoten verbrannten. 2012 rief eine ältere Dame aus Hamburg dazu auf, Overalls für ölverschmierte Pinguine in Australien zu stricken. Die überforderte Parkverwaltung in Melbourne musste daraufhin Platz für 40 000 Strickpullover finden.

Experten für humanitäre Hilfe sprechen angesichts solcher gut gemeinten, aber letztlich nutzlosen Materialspenden von SWEDOW, "Stuff we don't want". Praktisch jeder Experte sagt auch jetzt angesichts der australischen Buschfeuer: Geldspenden helfen am meisten. Tatsächlich weist ein anderer großer australischer Tierrettungsverband auf seiner Facebook-Seite in Großbuchstaben darauf hin, dass man gegenwärtig leider nichts mehr annehmen könne - die Freiwilligen kämen mit dem Sortieren nicht mehr hinterher.

Die Gruppe der Näherinnen kennt dieses Problem. Auch deshalb stellen sie möglichst nur solche Dinge her, die die Tierretter aus Australien konkret auf ihre Wunschzettel gesetzt haben. Eine täglich aktualisierte Ampel zeigt an, welche Taschen und Nester momentan noch gebraucht werden. Fäustlinge, mit denen die Pfoten von Koalas verbunden werden, hat man zum Beispiel genug. Dass man die Sachen am Ende gar nicht mehr brauchen könnte, wenn sie endlich angekommen sind, glaubt Julia Sesto nicht. Sie ist täglich in Kontakt mit einer Tierärztin in Queensland. "Der australische Sommer fängt gerade erst richtig an."

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Quelle:
SZ vom 11.01.2020
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