Süddeutsche Zeitung

Yuja Wang bei den Salzburger Festspielen:Ein Triumph

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Die chinesisch-amerikanische Pianistin Yuja Wang begeistert mit ihrem Solodebüt bei den Salzburger Festspielen. Das Publikum rast.

Von Helmut Mauró

Zunächst sah es nicht danach aus, als könnte dieser Einspringer-Abend bei den Salzburger Festspielen - Evgeny Kissin hatte abgesagt -, den Rahmen eines ordentlichen Klavierrezitals sprengen. Yuja Wang, die in China, Kanada und den USA studiert hat und heute in New York lebt, verkündete die "Liebesbotschaft" von Franz Schubert in der Klavierbearbeitung durch Franz Liszt eher verhalten, fast zögerlich, als glaube sie persönlich nicht so recht daran. Es ist auch schwer vorstellbar, dass sich diese Pianistin in ihrem elegantem roten Minikleid und High Heels in frühromantischen Zauber versenkt. Nach der Pause wird sie in ein golden glitzerndes Kleid wechseln. Wang hat nicht nur Sinn für Mode, sondern auch für ein Dasein als Diva.

Sie ist stets für ein erfrischend selbstbewusstes, auch ein wenig selbstironisches, Auftreten gut. Abrupt bremst sie vor dem Klavierhocker ab, legt die linke Hand am weit ausgestreckten Arm auf den Flügel und vollführt eine ruckartige Verbeugung bis ganz nach unten, bevor sie keine Sekunde später wieder aufrecht steht, sich ebenso geschwind an den Flügel setzt und loslegt. Man würde vielleicht ein krachend virtuoses Stück erwarten, nicht unbedingt die Klavierversion eines Schubert-Liedes. Und doch macht sie etwas Eigenes daraus, man sieht gleichsam Schubert durch die tiefenscharfe Gleitsichtbrille von Liszt und die distanzierende Gletscherbrille von Wang.

Wang kann auch mit Stücken begeistern, die für andere Pflichtprogramm sind - oder akademische Angeberei

Umgekehrt kann sie der sich im Verlauf immer komplexer entwickelnden "Suite für Klavier op.25" von Arnold Schönberg eine vermeintliche romantische Basis geben, ein melodisch-harmonisches Gefühl, das Schönbergs Aufbruch in die Zwölftonmusik als eine sanfte Morgenröte erscheinen lässt, einen optimistischen Aufbruch ins Weite, nicht als spröde, rechthaberische, alles musikalisch Dagewesene zerschmetternde Revolution. Das schafft nun wahrlich nicht jeder Pianist, und hier wurde man schon hellhörig, wie selbstverständlich und selbsterklärend Wang die musikalischen Vorstellungen Schönbergs realisierte. Was das ausverkaufte Salzburger Haus für Mozart gleich mal in einem herzlichen Applausrausch erbeben ließ. Ist Schönberg nach ziemlich genau 100 Jahren in Salzburg heimisch geworden? Oder hat das Publikum gespürt, dass man von Yuja Wang an diesem Abend noch weit mehr erwarten konnte als gehobene Zerstreuung?

Denn sie ist einerseits ein echtes Unterhaltungstalent, reißt das Publikum mit, auch dann, wenn es die Musik oder musikalische Darbietung für sich genommen nicht vermögen. Wenn die "Ungarische Melodie" von Franz Schubert ein wenig im Metrum verrutscht und sehr zaghaft kommt, wenn die Leidenschaft für das sogenannte "Zigeuner-Moll", einer Variante der Moll-Tonleiter, gänzlich fehlt. Aber, und das zeichnet Wang dann doch als großartige Pianistin aus, sie kann auch mit Stücken begeistern, die bei anderen eher nach Pflichtprogramm klingen oder akademischer Angeberei. Die schwierigen ernsten großen Etüden des zeitgenössischen Komponisten György Ligeti zum Beispiel. Wie sie da nicht nur mit schierer Virtuosität zu Werke geht, sondern starke Gefühle und Feuer entfacht, wo man sie wirklich kaum vermutete. Erstaunlich lang anhaltend kraftvoll verklingt der letzte Akkord im offenen Pedal.

Nicht unbedingt leichter: der verschrobene Spätromantiker Alexander Skrjabin, der zwar einerseits in enger Tradition zum Klaviergott Chopin steht, andererseits symbolistische Abgründe zeichnet und prickelnde Düsternis. Man kann sich seine Klangwelt, würde man sie sehen, zum Beispiel zwischen Alfred Kubin und Francis Bacon vorstellen. Aber was immer Yuja Wang in Skrjabin hört und sieht, es kommt kaum Schwärze und Schwermut auf in Skrjabins fis-Moll-Sonate op.23. Vieles spieltechnisch Schwierige scheint ihr leicht zu fallen, jedenfalls spielt sie es so, als wäre diese Musik auch leicht möglich - und darin liegt eine sehr besondere Melancholie, vielleicht sogar ein Anflug von Bitterkeit. Das passt zwar nicht zu den Erwartungen, die man an diese Pianistin stellen mag, aber so durchweg unterhaltsam ist sie halt doch nicht.

Gut so, denn so nah und ehrlich, so kommt es einem vor, hat man Skrjabins Musik lange nicht gehört. Seit Igor Schukow nicht, vielleicht auch noch nie. Ehrlichkeit ist zwar keine seriöse Kunstkategorie, sie bedeutet ja nur, dass man etwas so hören kann und keinesfalls dem Umkehrschluss erliegen darf, der vom Gehörten aufs Spielen zielt, aber solche Aufrichtigkeit und Authentizität sind dennoch Kernforderungen an die Kunst. Absurd? Vielleicht, und ein Künstler braucht starke Nerven, um diesen Spagat auszuhalten. Yuja Wang hat Nerven, sie ist Künstlerin und täuscht nichts anderes vor. Auch mit den folkloristischen Genrebildchen von Isaac Albéniz treibt sie ihr eigenes intellektuelles Spiel. Auf einmal klingt da kaum noch Volkstümliches heraus, gerät die Klangheimeligkeit ins Wanken. So, vielleicht nur so ist diese Musik kitschfrei erträglich und sogar interessant.

Am Ende gibt Yuja Wang sieben Zugaben - praktisch ein weiteres kleines Konzert

Mit den Zugaben veranstaltete Wang dann praktisch ein weiteres, etwa halbstündiges Konzert. Beginnend mit dem Danzón Nr.2 von Arturo Márquez schaffte sie einen sanften Übergang von Spanien nach Südamerika, denn die Klangwelt des mexikanischen Komponisten Márquez, obgleich fast ein Jahrhundert später geboren, ist gar nicht so weit weg von der des Spaniers Albéniz. Sehr zur Freude des Publikums schob sie dann noch die virtuosen Carmen-Variationen des Jahrhundert-Pianisten Wladimir Horowitz nach, bevor sie mit der Etude Nr.6 von Philip Glass eine ganz andere Hörerwartung forderte. Zur Belohnung gabs die muntere, jazzige Variation von Mozarts "Rondo alla turca" der komponierenden Pianisten Arcadi Volodos und Fazil Say, schließlich noch Giovanni Sgambatis Bearbeitung einer Arie aus Christoph Willibald Glucks Oper "Orfeo ed Euridice".

Und als wäre dies noch nicht genug, erklatschte sich das aufgewühlte Publikum noch eine siebte Zugabe, ein virtuoses Jazz-Stück - "Variations" von Nikolai Kapustin -, das so ganz jenseits beliebiger Improvisation durchweg melodisch-logisch gestaltet war und unter den Händen von Yuja Wang doch sehr frei wirkte in der Art des Musizierens - wie eine genialische Improvisation. Eigentlich sollte die meiste Klaviermusik so klingen. Für die Pianistin Yuja Wang geriet dieser Abend zu einem unerwarteten Triumph, das Publikum applaudierte größtenteils stehend und sehr aufgeregt.

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