Süddeutsche Zeitung

Woody Allen:Ein Trauerspiel

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Der Verlag Hachette sagt die Veröffentlichung von Woody Allens Autobiografie nach Protesten ab. Es ist ein fatales Signal an Missbrauchsopfer und Autoren.

Von David Steinitz

Beim Interview letzten Sommer in Paris antwortete Woody Allen auf die Frage, ob sein bewegtes Leben nicht Stoff für mindestens 1000 Seiten hergebe: "Auf gar keinen Fall, dafür ist es nicht spannend genug!" Das war einerseits natürlich brutales Understatement - andererseits hat der 84-Jährige Wort gehalten: Seine Autobiografie mit dem Titel "Apropos of Nothing", die in Amerika am 7. April hätte erscheinen sollen, hat laut Verlagswebseite genau 400 Seiten.

Das Buch ist bereits gedruckt und bei Anbietern wie Amazon vorbestellbar, aber lesen wird man es zumindest in den USA vorerst trotzdem nicht können. Die Verlagsgruppe Hachette, deren Tochterunternehmen Grand Central Publishing das Buch herausbringen wollte, hat die Veröffentlichung am Freitag abgesagt wie unter anderem die New York Times berichtet.

Die Vorwürfe gegen Allen waren lange bekannt. Sie hatten den Verlag aber erst mal nicht gestört

Die Entscheidung stand am Ende einer Woche, in der auf den Verlag von innen und von außen Druck ausgeübt wurde. Etwa 70 Hachette-Mitarbeiter verließen ihre Schreibtische, um vor dem Verlagshaus gegen das Buch zu protestieren. Damit schlossen sie sich dem ehemaligen Hachette-Autor Ronan Farrow an, dem Sohn von Woody Allen. Der 32-Jährige hatte sich zuvor empört geäußert, dass der Verlag Allens Biografie publizieren wolle und kündigte an, nicht mehr mit Hachette zusammenarbeiten zu wollen. Der Journalist, der unter anderem mit Reportagen über die sexuellen Übergriffe des Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein einer der Vorreiter der "Me Too"-Bewegung wurde, steht fest auf der Seite seiner Mutter Mia Farrow. Sie ist Allens Exfreundin und beschuldigt den Regisseur, die gemeinsame Adoptivtochter Dylan 1992 in ihrem Landhaus in Connecticut sexuell missbraucht zu haben, als diese sieben Jahre alt war.

Woody Allen bestreitet die Vorwürfe und wirft wiederum Mia Farrow vor, den Missbrauch erfunden zu haben, damit er nach der Trennung nicht das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder zugesprochen bekomme. Zu der Absage durch den Verlag hat er sich bislang nicht geäußert.

Eine Sprecherin von Hachette sagte, die Entscheidung, das Buch fallen zu lassen, sei "schwer" gewesen: "Wir nehmen die Beziehungen zu unseren Autoren ernst und sagen Bücher nicht einfach ab." Nach internen Gesprächen wäre man aber zu dem Schluss gekommen, dass die Veröffentlichung nicht mehr "machbar" gewesen sei. Das ist eine Wendung, die man freundlich gesagt als befremdlich bezeichnen kann - und zwar ganz unabhängig davon, wie man sich zu Woody Allen positioniert.

Denn im Fall der Missbrauchsvorwürfe steht seit 1992 Wort gegen Wort, ohne dass eine der beiden Seiten neue Beweise für die Schuld oder Unschuld des Filmemachers hätte vorlegen können. Allen ist wegen der Vorwürfe nie juristisch belangt worden. Die Argumentation der Familie Farrow ist in diversen Interviews nachzuvollziehen, ebenso die Argumentation der Familie Allen. Besonders die zerstrittenen Söhne Ronan (für Mia) und Moses (für Woody) haben ihre Sicht auf die Dinge mehrfach dargelegt. Sogar der 33-seitige Abschlussbericht des Sorgerechtsstreits vom 7. Juni 1993 mit der Verfahrensnummer 68738/92, in dem Farrow von einem New Yorker Richter das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder zugesprochen wurde, ist im Internet zu finden, wenn man sich ganz ausführlich informieren möchte.

Man kann nach Lektüre dieser Dokumente natürlich zu dem Schluss kommen, nicht mit Allen arbeiten zu wollen. Aber da alle bekannten Fakten seit knapp drei Jahrzehnten auf dem Tisch liegen, sollte man sich das vielleicht überlegen, bevor man einen Vertrag mit ihm abschließt.

So steht der Verlag Hachette nun als Unternehmen dar, das beim Stichwort "Woody-Allen-Biografie" erst die Dollars klingeln hörte und dann beim ersten Widerstand einknickte. Ganz ähnlich wie die Darsteller von Allens letztem Film "A Rainy Day in New York" (2019): Die Jungstars Timothée Chalamet und Selena Gomez drehten den Film mit ihm ab, als das für jeden Schauspieler noch ein Ehrenabzeichen war; als die öffentliche Stimmung in Hollywood kippte, ohne dass sich an der Sache etwas geändert hatte, entschuldigten sie sich für ihre Auftritte und distanzierten sich von dem Film.

Die Entscheidung von Hachette sendet ein fatales Signal: an Missbrauchsopfer, weil den Verlag der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs nicht gestört zu haben schien, solange in Aussicht stand, dass man mit dem Buch Geld verdienen kann - und sich niemand beschwert hat. Und an Autoren, weil der Verlag sie nicht aufgrund von Fakten und Beweisen, sondern von Meinungen und Stimmungen fallen lässt.

Das Ganze hat nichts mehr mit den ehrenvollen Absichten der "Me Too"-Bewegung zu tun

Hachette hat unter anderem Bücher von J.D. Salinger, David Foster Wallace und J. K. Rowling im Programm. Er ist einer der größten Verlage in den USA, ein Land, das einen Präsidenten hat, der seit Jahren versucht, gegen Journalisten und Publikationen vorzugehen, deren Meinung ihm nicht passt. Wenn jetzt nach der ersten Protestwelle die Biografie eines Autors aus dem Kulturbetrieb abgesagt wird - was sollen dann erst Investigativjournalisten und Whistleblower denken? Dass ein Großverleger beim ersten Protest sofort einknickt, weil er nicht das Rückgrat hat hinter einer Entscheidung zu stehen, deren Pro und Contra er zuvor hätte sorgfältig abwägen müssen?

Das Ganze hat nichts mehr mit den ehrenvollen Absichten der "Me Too"-Bewegung und ihren Unterstützern zu tun, sondern ist ein Trauerspiel, in dem auch Ronan Farrow keine sonderlich rühmliche Rolle mehr einnimmt. Der Jurist und Journalist hat aus seinen Weinstein-Enthüllungen ein Geschäftsmodell gemacht, in dem er sich als "Me Too"-Posterboy verkauft. So penibel und journalistisch sauber wie er im Fall Weinstein recherchiert und geschrieben hat, ist das auch völlig legitim. Und selbstverständlich kann er öffentlich für seine Schwester und seine Mutter eintreten, wenn es um Woody Allen geht, und diesen angreifen. Nur nutzt er sein Image als integrer, objektiver Berichterstatter für eine Affäre, in der er nun mal persönlich involviert ist - und das sind Sphären, die er seinen eigenen Ansprüchen nach eigentlich nicht vermischen dürfte, auch wenn sie natürlich schwer zu trennen sind.

Und was passiert jetzt mit Woody Allens Autobiografie? Der Hamburger Rowohlt Verlag, der die Rechte für den deutschen Markt erworben hat, will laut einer Sprecherin an der Veröffentlichung festhalten. Das Buch soll unter dem Titel "Ganz Nebenbei" am 7. April wie geplant erscheinen.

Auf Proteste kann man sich auch dort gefasst machen: Sonntagabend veröffentlichten Autoren des Verlags einen offenen Brief, in dem sie sich "enttäuscht über die Entscheidung" zeigten, das Buch zu veröffentlichen. Unterzeichnet wurde er unter anderem von Margarete Stokowski, Kathrin Passig und Sascha Lobo. Was genau in dem Buch drin steht, dürften aber auch sie noch nicht wissen. Für eine Stellungnahme war Rowohlt am Sonntag nicht zu erreichen.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2020
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