Süddeutsche Zeitung

Architektur:Unser Mann in West-Berlin

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Der Architekt Werner Düttmann hat den Westteil der Stadt geprägt wie kaum ein anderer. Jetzt wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Peter Richter

Es geht mit den Details schon los, zum Beispiel mit dem Hirnholz.

Hirnholz heißt das, wenn das Parkett nicht längs der Fasern, sondern quer dazu geschnitten wird. Und als Bodenbelag für eine Akademie ist Hirnholz natürlich schon vom Namen her mehr als sachangemessen. Außerdem sieht es wirklich hinreißend aus.

Deshalb gibt es in den Räumen der Akademie der Künste im Berliner Hansaviertel immer wieder Besucher, die nicht nur die Ausstellungen dort bewundern, sondern mit derselben ästhetischen Hingabe auch auf den Fußboden starren: Das kleinteilige Klötzchenparkett ist warm, aber nicht weich, es ist fest, aber nicht hart; es ist etwas teurer als normales Parkett, weil es aufwendiger versiegelt werden muss, hält aber dafür auch der Belastung durch viel mehr Menschen stand.

Nun behauptet man zwar auch vom Teufel wie vom lieben Gott, dass sie jeweils im Detail steckten. Aber ganz sicher sagen kann man das nur für den Architekten Werner Düttmann, der oft genug für einen handfest lebensfrohen Humanismus gerühmt wurde. Denn der kommt eben am Ende auch in einem Bodenbelag zum Ausdruck, der schon materialästhetisch nach Empfängen, Tanz und Festen ruft. Das Gleiche gilt für die Kiesel aus immerhin Carrara-Marmor, mit denen hier der Waschbeton der Wände belegt ist.

Denn einerseits war dieser Architekt bekannt für die Haltung, dass "Bürgersinn nicht in jedem Fall durch Sparsamkeit bewiesen" werde, gleichzeitig aber auch dafür, keine bombastischen Beeindruckungsgesten zu mögen. Deshalb steigt man zu seiner Akademie der Künste auch nicht über steile Treppen hinauf, sondern im Gegenteil sogar leicht hinab: Sie liegt nicht auf einem ehrfurchtsgebietenden Sockel, sondern ist in eine kleine Mulde gebettet wie ein Schmuckstück in seine Schatulle.

Es sind immer wieder auch solche kleinen, klugen Inversionen, die einen in und vor so vielen Bauten von Werner Düttmann geradezu automatisch in eine gehobene, heitere, ja: beglücktere Stimmung versetzen, die nun wirklich nicht selbstverständlich ist für deutsche Nachkriegsarchitektur.

Wenn an diesem Samstag nun Düttmanns 100. Geburtstag ansteht, dann empfiehlt sich zur Feier insofern am besten ein Besuch seiner Bauten. Bevor nämlich Mitte April auf dem Hirnholz-Parkett der Akademie der Künste und im ebenfalls von ihm entworfenen Brücke-Museum die großen Jubiläums-Ausstellungen gezeigt werden, soll morgen bereits die Website www.wernerduettmann.de online gestellt werden und 28 verschiedene Standorte zu einer großen Außen-Ausstellung verbinden. Das wird ein sehr langer Spaziergang, der gleichzeitig sehr exklusiv durch den Westteil von Berlin führt.

In der Systemkonkurrenz der geteilten Stadt war Düttmann sozusagen der genaue Gegenspieler von Hermann Henselmann und als solcher im "Schaufenster des Westens" für die Auslagen zuständig. Düttmann, der in Kreuzberg geboren worden war und später in einem Reihenhäuschen in Westend lebte, hat außerhalb seiner Heimatstadt nur sehr wenig gebaut, aber in West-Berlin war er als Senatsbaudirektor, Hochschullehrer, Akademiepräsident und als praktischer Architekt so prägend wie kaum ein anderer.

Da ist neben der Akademie der Künste eben auch das flach an den Grunewald geschmiegte Brücke-Museum, das den aufgewühlten Werken des Expressionismus eine im Kontrast angenehm unaufgewühlte Heimat an den langen Wänden bietet. Da ist ein Kleinod wie die Verkehrskanzel, in der zwar schon seit Ewigkeiten kein Verkehrsüberwacher mehr gesessen hat, die aber für das Stadtbild schon deswegen unverzichtbar geworden ist, weil sie sich wie ein verglaster Sprungturm über den Kurfürstendamm schiebt, der dadurch an dieser Stelle etwas ausgesprochen Freibadhaftes bekommt.

Dann sind da allerdings auch Düttmanns Großwohnbauten für das Märkische Viertel oder das südliche Ende der Friedrichstraße am Mehring-Platz. Und in den Siebzigern und Achtzigern galten auch sie als Inbegriffe einer als Sanierung verkauften Zerstörung historischer Stadtgrundrisse durch wuchtige Menschensilos und seelenlosen Bauwirtschaftsfunktionalismus. Dass soziale Brennpunkte daraus wurden, sahen manche damals schon in der Architektur selbst begründet.

Dieses Meinungsbild hat sich aber in den letzten Jahren merklich gewandelt, was neben einer ganzen Menge von Instandsetzungsmaßnahmen auch daran liegen mag, dass die Überhitzung des Immobilienmarkts auf einmal wieder ein wärmeres Licht auf Großsiedlungen und sozialen Wohnungsbau wirft.

Der große Berlin-Kenner Hanns Zischler erinnert in einem neuen Band, der pünktlich zum Geburtstag über Düttmann erscheint, außerdem an den Umstand, dass die Hochhäuser am Mehringplatz durchaus auch dazu dienen sollten, die Gegend von einer nebenan geplanten Tangente der Stadtautobahn abzuschirmen. Andere loben in der Publikation, die übrigens ebenfalls vom Brücke-Museum herausgegeben wird und im Verlag Wasmuth und Zohlen erscheint, Düttmanns kreativen Umgang mit den engen Förderrichtlinien, die Aufenthaltsqualität seiner grünen Wohnhöfe und die praktischen, freien, nicht unnötig bestimmte Nutzungen vorfestlegenden Grundrisse.

Kaum ein Foto, das Düttmann nicht mit rauschhaftem Vergnügen bei der Arbeit oder bei Festlichkeiten zeigt

Das radikalste Beispiel für die Freiheit, Düttmann'sche Bauten neu und anders zu nutzen, ist heute allerdings eine ehemalige Kirche, die mittlerweile von der Kunstgalerie König genutzt wird, nachdem der Architekt Arno Brandlhuber einfach eine Art Tisch aus Beton als Zwischengeschoss ins Schiff geschoben hat. Andere Düttmann-Bauten sind dafür durch Umbau eher vernichtet worden wie das Privatanwesen Haus Schiepe, das ursprünglich einen Hauch von Frank Lloyd Wright in den Berliner Grunewald gebracht hatte.

Umso tröstlicher ist, dass umgedreht einer von Düttmanns öffentlichsten Bauten fast noch konsequenter an den Geist modernistischer Wohnbauten erinnert: Seine Bücherei im Hansaviertel ist im Grunde ein gläserner, kalifornischer Bungalow rund um einen Patio, in dem zur Eröffnung - Fotos zeigen das - sogar Butterfly Chairs als Lesesessel aufgestellt waren, die man sonst damals vor allem in der Design-Abteilung des MoMA finden konnte.

Der Mann selbst ist abwechselnd als "burschikos", als "scharfsinnig", als "Rauhbein" und vor allem und immer wieder als eminent "lässig" beschrieben worden, als Haltungs-Amerikaner sozusagen. Und wenn man die Augen ein bisschen zusammenkneift, dann sieht nicht nur Düttmanns zarte Leihbücherei ein bisschen so aus, als wolle sie lieber in Palm Springs stehen als am Berliner Tiergartenrand. Wenn man die Augen ein bisschen zusammenkneift, sieht vor allem auch Düttmann selbst oft ein bisschen aus wie William Cody, der dort in der Wüste Kaliforniens den Hollywood-Leuten ihre Bungalows um den Pool gebaut hat: Kaum ein Foto, das Düttmann nicht mit rauschhaftem Vergnügen bei der Arbeit oder bei Festlichkeiten zeigt, und zwar so, als wäre er ein assoziiertes Mitglied des Rat Pack um Frank Sinatra und Dean Martin: Während viele seiner Berufskollegen einen grundsatzschwarzrollkragigen Habitus des fortwährenden Wehleidens an Welt und Baukultur kultivierten, sah dieser Architekt auf Aufnahmen oft genug aus, als würde er gerade mit einem Whiskeyglas in der Hand eine Showtreppe heruntertanzen. Andererseits sehen aber bei Düttmann ja sogar die Treppen selbst oft aus, als würden sie gerade eine Treppe herunterschweben, und das muss man auch erst einmal hinkriegen.

Es passt zu diesen Bildern einer ebenso lustvollen wie energischen Architektenkarriere, dass Werner Düttmann 1983, also mit nur 62 Jahren, in einem Auto der Schlaganfall ereilte und er daran starb. Aber tragisch und traurig war es natürlich trotzdem, nicht zuletzt für das weitere Baugeschehen und Aussehen von Berlin.

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