Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Gitarrist Eddie Van Halen:Eruptionen

Lesezeit: 4 min

Eddie Van Halen war einer der letzten ganz großen Stargitarristen in diesem Superlativ-Zirkus namens Rock. Über ein technisches Genie und einen Innovator für Jahrzehnte.

Von Jakob Biazza

Was für einen Charakter jemand hat, zeigt sich doch immer noch dann am deutlichsten, wenn der Karren vor die Wand fährt. Einen der grausigsten Blechschäden der Band Van Halen findet man auf Youtube unter dem sprechenden Titel "Jump (Greensboro Disaster 2007)".

Es ist der letzte Song eines Abends der Reunion-Tour mit Sänger David Lee Roth. Große Show, was bei einer in den Siebzigerjahren gegründeten und in den Achtzigerjahren gefeierten Band schnell viel wundervolle Scheußlichkeit bedeutet. Sänger Roth hat also in diesem Moment schon eine sehr große und sehr rote Fahne geschwenkt. Er wird im Flitterregen noch mit einem etwa drei Meter langen, aufblasbaren Mikrofon zwischen den Beinen über die Bühne reiten.

Erst mal ist da aber das Keyboard-Intro von "Jump".

Ein Schlaumeier-Partyspruch lautet, dass der einzige Nummer-1-Hit eines der größten Gitarristen der Welt ein Keyboard-Song war, und womöglich hat sich der Pop-Gott da tatsächlich einen kleinen Scherz gegönnt. Das glitzernde, fanfarenhafte Synthie-Intro föhnt jedenfalls los. Finale-Euphorie. Großes Lichtspektakel.

Dann steigt die Gitarre von Eddie Van Halen ein.

Es gibt im Internet eine amüsante Spezialisten-Diskussion darüber, was tatsächlich schiefgelaufen ist. Die wahrscheinlichste Theorie lautet, dass der Computer, der das Keyboard abspielt, das wegen einer falschen Einstellung einen Tick zu schnell und deshalb zu hoch tat. Eine Nuance nur, weshalb man es nicht einfach ausgleichen kann. Es gibt aber auch Leute, die Eddie die Schuld geben. Er soll eine falsch gestimmte Gitarre benutzt haben. So oder so, das Resultat ist eine Dissonanz, die direkt aus einem inneren Kreis der Hölle kommt. Frontalaufprall. Überschlag. Totalschaden. In einem Wort: Pop.

Man sollte jetzt einfach aussteigen, sich abklopfen und auf den Ersatzwagen warten. Richtig?

Falsch. In den USA wird man nicht groß (etwa 80 Millionen verkaufte Alben groß), wenn man aussteigt. Und Edward Lodewijk van Halen mag zwar in Amsterdam geboren worden sein, im Januar 1955, aber er wurde, ein paar Jahre nachdem die Familie ausgewandert war, einer der amerikanischsten (und prägendsten) Gitarristen, die dieses an prägenden Gitarristen nicht arme Land je hervorgebracht hat. Technisch herausragend. Innovativ. Und fleißig, sehr, sehr fleißig.

Man höre sich nur das Solo an, das er für Michael Jackson auf "Beat It" gespielt hat

Eddie Van Halen war schließlich einer der Protagonisten einer Pop-Zeit, in der längst nicht ausgemacht war, ob nun wirklich der Sänger oder nicht doch der Gitarrist der Star einer Band ist.

Also zog er die Show durch. Volle fünf Minuten. Vielleicht hörte er sich schlecht. Vielleicht war er zu betrunken. Vielleicht auch zu nüchtern. Offiziell hatte er gerade eine Entziehungskur hinter sich. Jedenfalls kommt irgendwann das Solo. Der Mann am Mischpult dimmt die Band herunter und reißt die Gitarre auf. Und was soll man sagen? Wenigstens in diesem Verhältnis ist da nichts als: Instrumentalisten-Perfektion. Was ja letztlich immer das Lebensthema dieses Musikers war.

Man höre sich nur das Solo an, das er auf "Beat It" von Michael Jackson gespielt hat. Alles, was die Gitarre damals konnte, ist in diesen wenigen Takten. Und einiges, was sie so vorher noch nicht konnte. Van Halen hat schließlich diverse Spieltechniken, wie das Tapping oder das Sweeping, nein, nicht erfunden - aber zu etwas entwickelt, mit dem man Musik machen kann. Musik! Nicht Show! Man übersieht das leicht unter den auftoupierten Inszenierungen dieser Band. Aber ihr Gitarrist war genau das nicht, was ihm viele vorwarfen. Er war kein Gniedler um des Gniedelns willen. Zumindest nicht nur.

Hauptsächlich verwendete er die Angeber-Techniken dort, wo er sonst nicht spielen konnte, was er spielen wollte. Dass er manchmal vor allem sehr viele Töne in sehr kurzer Zeit spielen wollte: geschenkt. Es muss wirklich nicht jeder Eric Clapton sein wollen. Manchmal braucht es auch einen Gitarristen, der auf dem Debüt seiner Band ("Van Halen", 1978) gleich im zweiten Song eineinhalb Minuten lang soliert. Freistehend. Das Stück besteht aus nichts als dem bis dato größten Poser-Solo der Welt. Keine weiteren Instrumente. Titel: "Eruption". Noch Fragen?

Kosmische Pop-Gerechtigkeit?

Allein das Album "Van Halen" verkaufte sich etwa zehn Millionen Mal. Kein Wunder. Nicht nur für Gitarristen war es eine Offenbarung. Der psychedelische Rock der Sechzigerjahre war von der Perfektion von Disco abgelöst worden. Van Halen brachten beides zusammen - absolute Exaktheit und große, sehr männliche Rock-Pose.

Man kann wohl sagen: Die Band rettete damals den Rock. Wenigstens für den Moment. Dann übernahm auch hier eine Art von Fleiß: Jedes Jahr gab's ein neues Album. Nicht jedes war so erfolgreich wie das Debüt. Und auch nicht jedes so gut. Im Jahr 1984 dann noch einmal ein Aufbäumen: "1984". Mit der Single "Jump". Noch mal ein episches Werk. Noch mal zehn Millionen, noch mal große Show-Runde. Und dann viel Streit. Roth verließ die Band. Es wurden verschiedene Sänger ausprobiert, ein paar davon waren sehr gut. Aber, vielleicht gibt es ja doch so etwas wie eine kosmische Pop-Gerechtigkeit, war diesmal eben doch der Gitarrist der Star.

Und wehe dem, der gleich von Engeln anfängt, nur weil ein Musiker tot ist. Aber: Auf dem Cover von "1984" ist nun mal ein feister kleiner Kerl mit Flügeln. Strubbeliger Seitenscheitel, Oberkörper frei, feixender Blick. In der Hand eine Zigarette, vor sich zwei Softpacks. Er sieht Eddie Van Halen schon ein bisschen ähnlich.

Mit zwölf Jahren, so erzählte er es selbst immer, habe er mit Kippen und Alkohol begonnen. Nun ist er an Kehlkopfkrebs gestorben, der Kettenraucher- und Schnapsalkoholiker-Krankheit. Er wurde 65 Jahre alt.

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