Süddeutsche Zeitung

Russischer Dirigent:Gergiev verliert Auftraggeber

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Wegen seines Schweigens zum Ukraine-Krieg gerät der russische Dirigent Valery Gergiev immer mehr in Bedrängnis.

Von Egbert Tholl

Der dem russischen Staatschef Wladimir Putin nahestehende Dirigent Valery Gergiev gerät wegen seines Schweigens zum Ukraine-Krieg immer mehr in Bedrängnis. Die Mailänder Scala, an der Gergiev zur Zeit Tschaikowskys "Pique Dame" dirigiert, hatte ihn vergangene Woche aufgefordert, sich von Putins Angriff auf die Ukraine zu distanzieren, er könne ansonsten dort nicht mehr arbeiten. Gergiev hat auf das Ultimatum nicht reagiert, jetzt will das Haus einen Ersatzdirigenten suchen.

Die Wiener Philharmoniker hatten Gergiev schon vergangene Woche aus ihrem USA-Gastspiel gestrichen, das Luzern Festival hat seine Auftritte im August abgesagt. Der Intendant der Hamburger Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, drohte ebenfalls mit der Absage von zu Ostern geplanten Konzerten unter der Leitung von Gergiev, und auch seine Künstleragentur hat sich jetzt von Gergiev getrennt: "Vor dem Hintergrund des verbrecherischen Krieges, den das russische Regime gegen die demokratische und unabhängige Nation der Ukraine und gegen die gesamte offene europäische Gesellschaft führt, ist es uns unmöglich und unlieb geworden, die Interessen von Maestro Gergiev zu vertreten", teilte Agenturchef Marcus Felsner mit.

Mal ganz zu schweigen von der heiklen Frage, ob, wann und inwiefern die Politik Künstler zu politischen Statements zwingen darf

Auch bezüglich der von Gergiev geleiteten Münchner Philharmoniker läuft ein Ultimatum. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte Gergiev am Freitag eine klare Frist gesetzt: Wenn er sich nicht bis zu diesem Montag von Putin und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine distanziere, könne der Russe nicht weiter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker sein. Nach Angaben der Stadt hat Gergiev bis Mitternacht in der Nacht zu Dienstag Zeit, sich zu äußern. Bis Montagnachmittag lag noch kein Statement Gergievs vor.

Was Gergiev denkt, weiß er allein. Aber eine klare Distanzierung von Putin und dessen verbrecherischer Politik ist unwahrscheinlich. Seine Nähe zum russischen Machthaber war schon lange bekannt, bevor ihn die Philharmoniker nach München holten. Diese Nähe bringt ihn nun in ein Dilemma. Entweder verzichtet er auf seine internationale Karriere oder auf seine Position in Russland, nicht nur in St. Petersburg, wo Gergiev das Mariinski-Theater leitet, Festivals organisiert, musikalischen Nachwuchs fördert - und somit berufliche Existenzen mit seiner verbunden sind.

Allgemein erwartet wird, so er sich denn überhaupt äußert, eine Absage an den Krieg, aber keine Distanzierung von Putin, wie sie der Münchner Oberbürgermeister explizit gefordert hat. Gergievs eventueller oder gar zu erwartender Rausschmiss könnte die Stadt teuer kommen: Gesinnung ist ein delikater Kündigungsgrund. Im Zweifelsfall müsste Gergiev wohl ausbezahlt werden. Mal ganz zu schweigen von der wirklich heiklen Frage, ob, wann und inwiefern die Politik Künstler zu politischen Statements zwingen darf.

Als Daniel Froschauer, Vorstand der Wiener Philharmoniker, die Absage Gergievs beim USA-Gastspiel bekannt gab, betonte er gleichzeitig die jahrzehntelange Verbundenheit seines Ensembles mit dem russischen Dirigenten und sagte: "Die Kultur darf nicht zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen werden."

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