Süddeutsche Zeitung

Offener Brief:Uwe Tellkamp kritisiert Debattenkultur

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Von Alex Rühle

Die Nerven liegen blank in Deutschland. Die Berliner Autorin Margarete Stokowski sagt eine Lesung ab, weil eine gutsortierte Münchner Buchhandlung in einem Regal, in dem sie die Standardwerke der Forschung zu Neurechten anbietet, auch den Vulgärpopulisten Sarrazin und einige Titel des strammrechten Antaios-Verlags führt, auf dass sich der mündige Leser selbst ein Bild machen möge. Wenige Tage später führt der Dresdner Autor Uwe Tellkamp eine ähnliche, aber am Ende noch besorgniserregendere Protestaktion von rechts auf: Er beklagt in einem offenen Brief die intolerante Debattenkultur in Deutschland. Das ist sein gutes Recht, das Problem ist, wo er diesen Text publiziert: auf sezession.de.

Anlass zu seiner wütenden Anklage war ihm zweierlei. Zum einen ist da die Buchhändlerin Susanne Dagen, die in ihrem Dresdner Laden eine Reihe mit dem Titel "Mit Rechten lesen" veranstaltet. Zwei Dresdner Autoren hatten sie dafür im Lokalblättchen Elbhangkurier kritisiert. Schließlich, so die Autoren, stünde "der rechte Populismus der Kunst der Vielen feindselig gegenüber". Den zweiten Anlass lieferte ihm die "Erklärung der Vielen", in der sich circa 400 Künstler, Verbände und Kultureinrichtungen für ein Engagement gegen Nationalismus und Intoleranz und für die Freiheit der Kunst aussprechen. Dieser Aufruf ist für Tellkamp "ein Tiefpunkt der Debatten- und Toleranzkultur und zeugt (...) vom moralischen und intellektuellen Bankrott der Initiatoren".

Tellkamps Text ist wenig überraschend, wiederholt der "Turm"-Autor doch in weiten Teilen seine Thesen vom März, als er mit Durs Grünbein über Meinungsfreiheit diskutieren sollte. So wie damals konstatiert er auch jetzt einen "Gesinnungskorridor", der so eng sei, dass nur gedankenschmale linke Propaganda durchpasse. "Die Tonangeber in weiten Teilen unserer Medien und der Kulturbranche" würden "keinen Widerspruch" vertragen und alternative Meinungen mit "Maßregelung" und "Zurechtweisung" niederkartätschen. Die überregionalen Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Sender reiht er aneinander, als seien sie längst gleichgeschaltet. Dem stellt er "die paar rechten oder als rechts verschrienen Einmannunternehmen" gegenüber, "die auf kleinen Blogs oder in kleinen Zeitschriften gegen die Wucht des Common sense anschreiben".

Auf der einen Seite ein korruptes Kartell, auf der anderen einzelne freidenkerische Helden, wacker im Meinungssturm ausharrend. Wer die Welt so sieht, für den ist es vielleicht konsequent, diesen Text auf sezession.de zu veröffentlichen. Er darf sich dann nur nicht wundern, wenn er mit toxisch rechtem, autoritärem Gedankengut in Verbindung gebracht wird, das macht er durch diesen publizistischen Schulterschluss schließlich ganz allein: Die meisten Autoren auf "Sezession" verachten die demokratische, pluralistische Debatte und huldigen einem "autoritären Kult um Tat und Entscheidung", wie der Historiker Volker Weiß schreibt.

Die einen lehnen es ab, in einer Buchhandlung vor drei Büchern von Rechten zu reden. Die anderen schreiben sich in ihrem Opferfuror eine Meinungsdiktatur herbei. Keine gute Ausgangslage für zukünftige, fruchtbare Debatten. Die gibt es in Tellkamps Sicht ohnehin nur noch im Netz: In den sozialen Medien herrsche "eine ausgeglichenere Abbildung der Lage und der Meinungen als in den meisten klassischen Medien". Der Satz ist schon beeindruckend an einem Tag, an dem sich herausstellt, dass die AfD mit illegalem Schweizer Spendengeld digitalen Applaus und erfundene Follower gekauft hat.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2018
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