Süddeutsche Zeitung

Urteil in Istanbul:Ahmet Altan bleibt in lebenslanger Haft

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Von Christiane Schlötzer

Noch bevor das neue Urteil gesprochen war, sagte der Angeklagte: "Ich habe nichts dagegen, mein Leben in einer Gefängniszelle zu verbringen, denn ich habe schon eine Weile das Gefühl, zwischen den Seiten eines Comicbuches herumzuwandern." Ahmet Altan bleibt nur der Sarkasmus und die Flucht in die Fantasie. Der türkische Schriftsteller, einer der prominentesten, die dieses Land hat, wurde am Dienstagabend von einem Istanbuler Revisionsgericht erneut zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Damit wurde ein Schuldspruch aus dem Februar bestätigt. Freunde Altans hatten nach internationalen Protesten auf ein anderes Urteil, ja auf eine Haftentlassung gehofft.

Altan, 68, sitzt schon seit zwei Jahren im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri, außerhalb von Istanbul. Mit Altan standen fünf weitere Angeklagte vor Gericht, darunter die Journalistin und frühere Abgeordnete Nazlı Ilıcak, 74, sowie sein drei Jahre jüngerer Bruder Mehmet Altan, ein bekannter Wirtschaftswissenschaftler. Nur er befindet sich seit Juni auf freiem Fuß, nach einer Intervention des Verfassungsgerichts. Alle wurden jetzt erneut verurteilt, wobei Mehmet Altan als Einziger nicht in Haft muss. Sie können sich noch an das Oberste Berufungsgericht wenden - und Altans Unterstützer werden wieder hoffen. Der Schriftsteller aber hatte bereits vor der Verhandlung in einem Interview mit der Süddeutsche Zeitung, das über seinen Anwalt geführt wurde, gewarnt: "Gerechtigkeit ist wie ein Vorortzug. Wenn er nicht pünktlich ist, kann man nie wissen, wann und ob er überhaupt kommt."

Die Vorwürfe gegen die Altans klingen absurd: Sie sollen vor dem Putschversuch im Juli 2016 in einer Talkshow zusammen mit Ilıcak "unterschwellige Botschaften" verbreitet haben. Ahmet Altan sagte da: "Die AKP wird ihre Macht verlieren. Und sie wird vor Gericht gestellt werden." Das reichte für einen Haftbefehl. Verurteilt wurden sie wegen des Versuchs, die verfassungsgemäße Ordnung der Türkei zu stürzen. Dafür gebe es "nicht einen einzigen Beweis", sagte Ahmet Altan in seiner Verteidigungsrede. Die Anklage habe deshalb Absurditäten wie "immaterielle Gewalt" und "nicht greifbare Gefahr" erfunden. Altans Anwalt, Ergin Cinmen, sagte dem Gericht, das sei sein bisher schwierigster Fall, weil "wir beweisen müssen, dass etwas, das nicht existiert, nicht existiert". Er sprach von einer "Tragödie des Rechts". Das Gericht zog sich danach zurück, so kurz, dass man annehmen kann, das Urteil sei nicht erst an diesem Tag gefallen.

Auf der Webseite T24 erinnerte Aydın Engin, einer der prominentesten regierungskritischen Kolumnisten, am Mittwoch daran, dass die erschwerte lebenslange Haft einst als Ersatz für die Todesstrafe eingeführt wurde. Wäre die Todesstrafe nicht abgeschafft worden, würde man für die Verurteilten jetzt die Henkersbalken vorbereiten. "Habt ihr euch nicht geschämt?", fragte Engin die Richter.

In einem Buch, das Ahmet Altan in der Haft geschrieben hat und das in der vergangenen Woche auch auf Deutsch erschien (Ahmet Altan: Ich werde die Welt nie wiedersehen. Texte aus dem Gefängnis. Aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 2018, 177 Seiten), zitiert der Schriftsteller einen seiner Richter: "Hätten Sie doch einfach immer nur Romane geschrieben und sich nicht mit politischen Themen befasst." Altan aber ist ein politischer Mensch, auch wenn er romantische Liebesgeschichten geschrieben hat, die ein Millionenpublikum gefunden haben. In dem SZ-Interview sagte er: Für eine Unterstützung der Türkei sollte der Westen "die Rückkehr zu Demokratie und Recht verlangen".

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Quelle:
SZ vom 04.10.2018
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