Süddeutsche Zeitung

Theater:Zack, zack, zack

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Werkstattbericht aus Wien: Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat aus dem Ibiza-Skandal, der die österreichische Regierung in Bedrängnis brachte, das Theaterstück "Schwarzwasser" gemacht.

Von Peter Münch

Der Gorilla trägt ein rosafarbenes Fell, doch nichts ist daran niedlich. Das Tier ist wütend. "Die Gewalt", so schallt es aus ihm heraus, "ist so verführerisch, dass wir uns ihr immer wieder hergeben müssen." Der rosa Gorilla streift über die Bühne wie die Artgenossen durch ihren Käfig im Zoo, er trommelt sich mit der Faust auf die Brust, und irgendwann reißt er sich selbst den Kopf vom Leib - und aus dem Fell schält sich die Burgschauspielerin Caroline Peters heraus. Zerzaust, mit fragendem Blick. "Das war ganz zauberhaft", ruft Robert Borgmann, der Regisseur.

Auf der Bühne des Akademietheaters, einer Spielstätte des Burgtheaters, laufen die Proben für eine Uraufführung, die Wellen schlagen dürfte in Wien. "Schwarzwasser" heißt das Stück, geschrieben von der 1946 in einem steirischen Städtchen namens Mürzzuschlag geborenen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Thema ist der Ibiza-Skandal und jenes Video mit dem früheren FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache in der Hauptrolle, dessen Veröffentlichung durch die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel die österreichische Politik durcheinandergewirbelt hat.

Was damals von versteckten Kameras gefilmt wurde, wird nun auf offener Bühne verhandelt, und natürlich geht Jelinek dabei sehr ins Grundsätzliche. Es geht ihr um das Virus des Rechtspopulismus, um die Gewalt in Gesellschaften, und von Ibiza aus wird der Bogen geschlagen bis zu Beate Zschäpe und den Morden des deutschen NSU.

Robert Borgmann, der 1980 in Erfurt geborene Regisseur, sieht das Ibiza-Video als "Marker", als Dokument, in dem sich ein unseliger Zeitgeist verdichtet. In einer Probenpause erinnert er sich daran, wie er die Bilder von den Balearen zum ersten Mal gesehen hat, damals im Mai. "Ich habe erst mal gedacht, das ist ein Scherz, das ist Satire, die spielen sich selbst", sagt er. "Die Qualität hat mich an Big-Brother-Folgen vom Anfang der 2000er-Jahre erinnert."

Doch es war kein Scherz, und so steht der Ibiza-Skandal für Robert Borgmann heute "zeichenhaft dafür, wie sich in der Politik die Idee von Integrität aufgelöst hat", mehr noch: "für die vollkommene Obszönität", mit der auch andere wie Donald Trump, Viktor Orbán oder Jair Bolsonaro ihre Macht ausüben. Strache ist nur einer von vielen, ähnliche Abgründe gibt es auch andernorts, und ähnliche Ausreden sowie die Stilisierung zum Opfer gab es auch zu andern Zeiten, zumal in Österreich.

"Schwarzwasser" also ist hochaktuell und hochpolitisch - und für Robert Borgmann schon allein deshalb "ein anderer Auftrag, als einen Klassiker auf die Bühne zu bringen", weil sich die Wirklichkeit rund um diesen Theaterstoff noch ständig weiterschreibt. "Wenn ich rausgehe aus den Proben, dann sehe ich an der Bushaltestelle ein Bild des wiedergewählten Kanzlers Kurz", sagt er.

Auch um Kurz, seine Haare und die in der Tradition der griechischen Tragödie gestellte Frage nach der Offenbarung des Göttlichen dreht sich das Stück "Schwarzwasser". Als Referenz zu Ibiza werden immer wieder die dort vorherrschenden Themen eingestreut: der Kauf einer Zeitung, "zack, zack, zack", der Ausverkauf des Wassers, der Profit beim Autobahnbau, die heimliche Spendenpraxis. Um Wodka-Mixgetränke geht es und darum, wie so ein Mann auf Frauen blickt ("Haben Sie gesehen, wie scharf die ist. Das ist Wahnsinn"). Weil es Jelinek jenseits von all dem vor allem um Strukturen geht, hat sie dem Regisseur Borgmann ein Stück ohne Namen übergeben und auch ohne Rollen, wie es üblich ist in ihren sogenannten Textflächen.

Auf der Bühne des Wiener Akademietheaters wird man also Caroline Peters nicht als vermeintliche russische Oligarchen-Nichte sehen, sondern in verschiedenen Rollen, vom Gorilla aufwärts. Und auch Martin Wuttke wird nicht den Strache geben, selbst wenn das eine reizvolle Vorstellung wäre. "Wenn da jemand im Schlabber-T-Shirt auftreten würde, dann freut man sich eine Minute - und dann entsteht nichts daraus", sagt Robert Borgmann. Ihm geht es um das Theater als Raum der Reflexion: "Wir kriegen einen Text, wir gucken uns das Video an, und wir spielen uns daran kaputt."

Elfriede Jelinek sei "großzügig", was den Umgang mit ihren Texten angehe, erklärt die Dramaturgin Sabrina Zwach. "Sie ist die Autorin, aber dann gehört der Text dem Theater." Eine Probe hat Jelinek nicht besucht, und auch bei der Uraufführung wird sie nicht erwartet. Nachfragen der Dramaturgin werden stets schnell per Mail beantwortet. "Wir haben einen wirklich guten Austausch mit Frau Jelinek gefunden", sagt Sabrina Zwach.

Nachfragen sind gewiss immer wieder nötig, Jelineks Text bedarf der Entschlüsselung. "Er ist eigentlich gebaut wie eine Schachtel in der Schachtel in der Schachtel", meint Zwach. Auf dem Grund stößt man dann wohl immer aufs "Schwarzwasser" - auf die allfällige Verunreinigung, auf die Kloaken. Robert Borgmann sieht Jelinek auch hier als "Moralistin und als Marxistin". Ihre Botschaft: "Dieser Virus des Populismus und die Gewalt, die sind in uns drin", sagt er. "Jelinek stellt das 'Nie wieder' infrage und geht sogar noch weiter: Das wird in jedem Fall wieder passieren und in einer Form, wo wir uns wirklich den Arsch abbrennen."

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SZ vom 04.02.2020
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