Süddeutsche Zeitung

Theater und Macht:Welche Intendantinnen hätten Sie gern?

Lesezeit: 4 min

Immer wieder zeigen Fälle von Machtmissbrauch an Theatern Strukturfehler an den Bühnen auf. Und nun? Ein paar Vorschläge.

Von Christiane Lutz

Für die Welt ist es eine kleine Meldung, für Theaterdeutschland eine große: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Theaters Krefeld Mönchengladbach haben vor Kurzem einen neuen Schauspieldirektor gewählt. Richtig: gewählt. Demokratisch. Das mag wenig originell klingen, kommt in der Szene aber einer Revolution gleich. Schließlich wird am Theater niemand in Leitungspositionen gewählt. Intendanten werden ernannt, sie werden geholt, installiert, als Alleinherrscher. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben da nichts mitzureden.

Michael Grosse hält diese Art der Ernennung für unmodern, obwohl er selbst Intendant ist, eben am Theater Krefeld Mönchengladbach. So beschloss er, das Ensemble, die Souflierenden und die Inspizienten einfach zu fragen, wen sie denn gern hätten, als Schauspieldirektor. An sechs Kandidaten schickte das Theater einen Fragenkatalog. Etwa: Wie gehen Sie mit Krisen um? Wie lassen Sie Mitarbeiter an Entscheidungen teilhaben? Drei wurden eingeladen, ihre Ideen zu präsentieren. Dann wurde abgestimmt. Es wird Christoph Roos, derzeit noch Oberspielleiter am Landestheater Tübingen. Hinter diese Idee der Abstimmung, das ist Intendant Grosse klar, kann er künftig nicht mehr zurück. Ob solch eine Wahl der Weisheit letzter Schluss ist, ist natürlich fraglich. Der Versuch aber zeigt, wie dringend der Wunsch vieler Theaterbeschäftigter ist, selbst ihre Arbeitsbedingungen mitzugestalten, das veraltete System zu entkalken.

"Für 2000 Euro kriegst du alles von den Schauspielern"

Das Ensemble-Netzwerk setzt sich seit seiner Gründung 2018 für die Interessen von Künstlern am Theater und für faire Arbeitsbedingungen ein. Lisa Jopt und Thomas Schmidt sind im Vorstand und legen seitdem den Finger in die strukturellen Wunden des Theaters und machen Vorschläge, wie es denn besser gehen könnte. Für sie ist klar: Das Theatersystem, so, wie es ist, begünstigt Machtmissbrauch jeglicher Art. Das liege zum einen an der Position des Intendanten, der oder die im Endeffekt alleiniger Entscheider in künstlerischen und personellen Fragen ist. Zum anderen an den prekären Arbeitsverhältnissen, in denen vor allem Schauspieler am Theater beschäftigt sind, festgehalten im Tarifvertrag NV-Bühne (NV steht für "Normalvertrag"). Also müsse beides weg.

Den NV-Bühne nennt die Schauspielerin Jopt nur "NV-Flatrate", denn "für 2000 Euro kriegst du alles von den Schauspielern". Dieser Vertrag kann jedes oder jedes zweite Jahr einfach nicht verlängert werden aufgrund von "künstlerischen Gründen". Schauspieler müssen also ständig Angst haben, gehen zu müssen. Der Spielraum, was diese "künstlerischen Gründe" sind, reicht von persönlichen Antipathien über offene Streitereien. Bei Intendantenwechseln ist es üblich, Teile des Ensembles auszutauschen. Künstlerische Gründe. Wenn eine Schauspielerin älter wird und scheinbar weniger Rollen für sie zur Verfügung stehen: künstlerische Gründe. So etwas wie Kündigungsschutz gibt es nicht mal automatisch für Menschen in Elternzeit oder den Personalrat. Undenkbar in anderen Unternehmen.

"Man kann Leute sehr leicht loswerden", sagt Lisa Jopt. "Jeder, der sich gegen bestehendes Unrecht stark macht, muss mit Bestrafung rechnen." Da ist es kein Wunder, dass Menschen sich fürchten, den Mund aufzumachen gegen Regisseure und Intendanten. Diese betreiben ihren schlechten Stil oft über Jahre weiter, an den verschiedensten Häusern.

Vor allem für junge Schauspielerinnen sei es hart, sich überhaupt am Theater zu etablieren. Da ist einerseits ein stark umkämpfter Markt, gleichzeitig wird noch immer sehr viel klassischer Kanon inszeniert, in dem es weniger interessante Rollen für Frauen gibt. Man kommt voran, indem man mit den richtigen "Namen" und an den richtigen Häusern arbeitet. "Man schlägt keine der wichtigen Türen zu, das könnte sich herumsprechen", sagt Jopt dazu, warum so viel ertragen wird, was eigentlich unerträglich ist.

"Schrei-Intendanten" setzen ihren Willen über Lautstärke und Dominanzgesten durch

Viele Facetten des Machtmissbrauchs sind inzwischen bekannt: Ältere Spieler werden nicht selten aus den Ensembles gedrängt, sexistisches, teils rassistisches Verhalten wird geduldet. Nicht von ungefähr wurde extra fürs Theater der Titel des "Schrei-Intendanten" erfunden, für einen, der seinen Willen über Lautstärke und Dominanzgesten durchsetzt. Gift für das Klima, wie in jedem anderen Unternehmen auch. Diese Art der Betriebsführung kostete zuletzt Peter Spuhler vom Staatstheater Karlsruhe seinen Generalintendantenjob.

Ein guter Künstler zu sein, qualifiziere jemanden noch lange nicht zum Chef eines Theaters, sagt Jopt. Zu viel laufe bei der Ernennung der Intendanten über Beziehungen. Die Städte und Ministerien entscheiden, der Deutsche Bühnenverein berät. So geht es seit Jahren. Das Ensemble-Netzwerk fordert Qualitätskriterien. "Jeder Fußballspieler, der Trainer werden will, muss doch auch einen Trainerschein erwerben", sagt Jopt.

Außerdem: "Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollten in den zukünftigen Direktorien und Wahlgremien vertreten sein, mit denen das Intendantenmodell abgelöst werden wird", sagt Thomas Schmidt. Wer mitentscheide, habe auch ein größeres Interesse daran, dass Menschen in Führungspositionen bleiben, meint er. Und die überdimensionierte Macht des Intendanten müsse geteilt werden auf viele Schultern. Noch muss der Wille dazu aus den Theatern selbst kommen. Von der Politik kommt nichts.

Das Schauspielhaus Zürich etwa leiten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg seit einiger Zeit erfolgreich gemeinsam, sie setzen auf ein Team aus Hausregisseuren und -regisseurinnen, vieles wird gemeinsam entschieden, die Hierarchien, hört man, seien flach. Auch das Theaterhaus Gessnerallee in Zürich wird seit vergangenem Herbst von drei Frauen geleitet, die sich künstlerische und geschäftsführende Aufgaben teilen. Das ist freilich kein staatstragendes Theater, aber es ist ein Anfang. Auch Barbara Mundel an den Münchner Kammerspielen berief zum Start ihrer Intendanz vergangenen Herbst ein künstlerisches Leitungsteam ein. Seitdem war das Theater meist geschlossen, schwer zu beurteilen also, ob da eine echte Umverteilung stattfindet. Am Ende nämlich, so sieht es das System vor, muss eben einer oder eine unterschreiben. Und das ist der Intendant, die Intendantin. Noch.

Und was ist mit dem Argument, dass Kunst von jeher von Grenzüberschreitungen lebt? Vom Dazwischen, vom Flirren, vom sich gemeinsam Fallenlassen? Geht da nicht etwas verloren, wenn alles von allen in alle Richtungen abgesegnet wird, wenn Kunst gepolstert werden muss? Jopt sagt: "Kunst darf flirren und sexy sein. Aber bitte - das kann sie auch, ohne dass dabei Menschenrechte missachtet werden." Statt Inszenierungen zu produzieren, die momentan sowieso niemand sehen kann, sollten die Theater also jetzt lieber mal nach innen schauen. Damit das, was sie auf der Bühne behaupten, sich auch hinter der Bühne widerspiegelt.

Hinweis der Redaktion: Der Text weicht aus rechtlichen Gründen von der ursprünglichen Fassung ab.

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