Süddeutsche Zeitung

Theater:Katerstimmung

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Schauspiel Stuttgart in der Krise: Der Intendant Armin Petras produziert unter Hochdruck Stück um Stück. Trotzdem verliert er immer mehr Zuschauer. Oder hängt das eine mit dem anderen zusammen?

Von Adrienne Braun

Keine Frage, Armin Petras ist bienenfleißig. Als er 2013 das Schauspiel Stuttgart übernahm, setzte er zu einem wahren Höhenflug an. Eine Premiere jagte die andere, das Publikum war wie im Rausch und bejubelte die neuen Schauspieler, die Regisseure, den frischen Wind. Auch in dieser Spielzeit keine Atempause. Bloß: Die Begeisterung ist verflogen. Die Produktionen sorgen längst nicht mehr für Stadtgespräche. Das Schauspiel Stuttgart ist in einen Zustand geraten, der schmerzlicher ist, als Skandale oder Verrisse es sein könnten. Desinteresse hat sich breitgemacht.

Nach anfänglicher Euphorie haben die Stuttgarter wohl das Vertrauen in ihn verloren

Es ist längst ein offenes Geheimnis, dass Petras das Publikum davonläuft. In seiner zweiten Spielzeit verlor das Schauspiel 20 000 Zuschauer. Auch wenn für die laufende Saison keine Zahlen herausgegeben werden, genügt ein Blick in die oft lausig besuchten Repertoirevorstellungen. Vermutlich wird man nicht mal mehr die 137 000 Zuschauer des Vorjahres erreichen, sodass die Auslastung, die zuletzt bei 77,5 Prozent lag, weiter sinken wird.

Dabei macht Petras auf den ersten Blick vieles richtig. Es gab in diesen drei Jahren immerhin zwei Einladungen zum Berliner Theatertreffen. "Tschewengur", Frank Castorfs erste Inszenierung in Stuttgart, fiel bei Kritik und Publikum zwar weitgehend durch, wurde aber jüngst zu den Wiener Festwochen eingeladen. Petras kooperiert mit anderen Häusern und bietet vielfältige Handschriften. Antú Romero Nunes und Stephan Kimmig, aber auch der Stuttgarter Opernintendant Jossi Wieler inszenierten in dieser Saison. René Polleschs neues Stück wird zum Abschluss der Spielzeit an einem ungewöhnlichen Ort herauskommen: im Autokino.

Am Konzept allein liegt es also nicht, zumal auch interessante Formate erprobt werden. Bei der "Familie Weiß" etwa, einer Stadtraumintervention von Hofmann &Lindholm, konnten Besucher in einer angemieteten Wohnung Alltag simulieren. Nach Regieanweisung gossen sie Wasser aus der Gießkanne ins WC oder ließen den Küchenquirl aufjaulen. Das Schauspiel entwickelt aber auch thematische Reihen - wie im vergangenen Jahr das Terrorisms-Festival mit internationalen Gastspielen. Allein, das Publikum blieb auch dort aus.

Dabei sind die Stuttgarter bekannt für ihr inniges Verhältnis zum Theater. Nach der anfänglichen Euphorie scheinen sie aber das Vertrauen in Petras verloren zu haben, der zwar stetig wirbelt, aber nie wirklich präsent und greifbar ist. Selten tritt er in Erscheinung, fast nie äußert er sich öffentlich. Weder vermittelt er, Teil der Stadt zu sein, noch mit ihr und den Bewohnern in einen Dialog treten zu wollen.

Stattdessen verschanzt sich der Schauspielchef lieber hinter seinen zahlreichen Projekten. Als Autor schleudert er unter dem Pseudonym Fritz Kater in hochfrequentem Takt Texte heraus. In seiner zweiten Saison inszenierte er viermal auswärts, in der aktuellen Spielzeit brachte er vier Produktionen am eigenen Haus heraus und inszenierte wie nebenbei noch an der Schaubühne Berlin "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" von Frank Witzel. Auch diese Theaterfassung stammte aus seiner Feder.

Während Petras als Autor und Regisseur omnipräsent, fast hyperaktiv ist, bleibt er als Intendant zurückhaltend - und scheint den Dialog auch im eigenen Haus nicht zu suchen. Anders lässt sich nicht erklären, dass in diesen drei Jahren mehrfach Produktionen herauskamen, die so katastrophal missrieten, dass man sich fragen musste, wie es an einem Staatstheater zu solchen Ausreißern kommen kann. Ob es die Bühnenfassung des Romans "Am Schwarzen Berg" der Stuttgarter Autorin Anna Katharina Hahn war, die der Regisseur Christoph Mehler unglücklich mit Stuttgart 21 verknüpfte. Oder Dostojewskis "Der Idiot" - als der Souffleur bei der Premiere gefragt wurde, wie lang der Abend dauere, antwortete er, dass er das nicht wisse, es sei der erste Durchlauf. Der Regisseur Martin Laberenz war vollständig überfordert gewesen.

Theater kann nicht immer gelingen. Ein Intendant aber ist verantwortlich und muss manchmal reagieren - auch zum Schutz der künstlerischen Teams. Petras aber hat mehrfach versäumt, diese Verantwortung ernst zu nehmen und Schaden zu begrenzen. Das rächt sich nun. So hat Sebastian Baumgarten dieser Tage Gogols Roman "Tote Seelen" durchaus sehenswert und mit einem großartigen Wolfgang Michalek als Seelenhändler in Szene gesetzt, trotzdem bleibt das Publikum aus und geht lieber gleich zur Konkurrenz. Stuttgart hat schließlich genug interessante Bühnen, die die Nähe zum städtischen Leben und aktuellen Themen suchen - etwa das junge, frische Theater Rampe.

Armin Petras verweist zu seiner Verteidigung darauf, dass sein Vertrag vorzeitig verlängert wurde - bis 2021. So produziert er weiter unter Hochdruck, statt sich Zeit zu nehmen, auch für mehr inhaltliche Auseinandersetzung, die man bei seinen spielerischen und assoziativ wuchernden Inszenierungen, aber auch den zahlreichen Romanadaptionen der Kollegen mitunter vermisst. Um die Außenspielstätte Nord attraktiver zu machen, wurde ein Labor eingerichtet und trugen die Türschließerinnen weiße Kittel. Petras brachte in "Herakles Kinder" Schauspieler und Geflüchtete gemeinsam auf die Bühne - aber auch wenn es gut gemeint war, schnitten die Amateure neben den Profis sehr schlecht ab. Das wäre nicht passiert, hätte man sich vorab etwas mit der aktuellen Debatte um partizipative Projekte beschäftigt.

Aber statt innezuhalten, setzt Petras weiterhin auf Output, der deutlich höher als bei seinem Vorgänger Hasko Weber und zudem ressourcenintensiv ist. Die technische Mannschaft klagt nicht nur über die enge Disposition im Proben- und Vorstellungsbetrieb, sondern auch über chaotische Planungen, häufige kurzfristige Änderungen und Überstunden. Da zudem die erneuerte Bühnentechnik im Schauspielhaus immer noch nicht einwandfrei funktioniert und die Fluktuation unter den Abteilungsleitungen der Bühnengewerke hoch ist, liegen die Nerven längst blank.

Der Intendant gerät nicht trotz, sondern wegen seines Aktivismus immer mehr ins Schlingern

So bröckelt der Rückhalt auch in den eigenen Reihen und gerät Petras nicht trotz, sondern wegen seines Aktivismus immer mehr ins Schlingern. In der nächsten Saison will er nun "unsere Energie im Haus bündeln", wie er sagt. Prominente Namen und regionale Stoffe sollen den Abwärtskurs bremsen. Stephan Kimmig wird Martin Walsers ersten Roman "Ehen in Philippsburg" auf die Bühne bringen, Jan Neumann ein Stück über Stuttgarter Persönlichkeiten entwickeln und Philipp Löhle ein Auftragswerk über Waffenproduktion in Schwaben schreiben. Vielleicht gelingt damit, was dem Intendanten so schwerfällt: ins Gespräch mit der Stadt und dem Publikum zu kommen. Petras selbst hat die Weichen bereits so gestellt, dass er dafür wohl wieder keine Zeit und Muße haben wird. Er will drei Produktionen am Schauspiel inszenieren und zwischendrin auch noch nebenan in der Oper Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt".

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Quelle:
SZ vom 23.06.2016
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