Süddeutsche Zeitung

Theater:Hättste, wärste, könntste

Lesezeit: 2 min

Das Wiener Schauspielhaus unter der neuen Intendanz von Tomas Schweigen eröffnet mit dem Antitheater-Abend "Punk & Politik". Einen Autor gibt es nicht, ein Drama auch nicht. Die Schauspieler erzählen, "was unsere Geschichte hätte sein können". Nun ja.

Von Wolfgang Kralicek

Aller Anfang ist schwer. Deshalb dauert es an diesem Abend auch, bis es losgeht. Das Publikum sitzt längst auf der Tribüne, auf der Bühne aber tut sich herzlich wenig. "Bitte haben Sie noch einen Augenblick Geduld", heißt es auf einem Insert. Als die Schauspieler dann da sind, entschuldigen sie sich erst mal für die Verspätung. Man habe hinter der Bühne über die Aufführung debattiert und noch schnell ein Manifest formuliert. "Sie werden sich in einen der Darsteller unsterblich verlieben", heißt es darin etwa. Aber auch: "Der Abend wird politisch sein. Der Abend wird Geschichte schreiben, wird Europa verändern!"

Das ist natürlich maßlos übertrieben. Aber eines hat der neue Intendant Tomas Schweigen in den ersten Minuten seiner Eröffnungsinszenierung "Punk & Politik" schon mal klargestellt: Das Programm im Wiener Schauspielhaus wird sich unter seiner Leitung deutlich von dem unterscheiden, was hier in den vergangenen acht Jahren gespielt wurde. Schweigens Vorgänger Andreas Beck, jetzt Intendant am Theater Basel, hatte das Schauspielhaus als Theater für Gegenwartsdramatik positioniert und setzte damit ein Statement gegen den Siegeszug der postdramatischen Performance. Dank Autoren wie Ewald Palmetshofer und einem spielstarken Ensemble war das Konzept erstaunlich erfolgreich.

Ein Autorentheater soll das Schauspielhaus bleiben, allerdings wird der Begriff des Autors jetzt breiter gefasst. "Das Schauspielhaus wird sich den vielfältigen Schattierungen dessen widmen, was man heute unter dem Begriff Autorentheater verstehen kann", heißt es dazu im Spielzeitheft.

Der 38-jährige Regisseur Tomas Schweigen ist Wiener, verbrachte aber den Großteil seiner bisherigen Theaterkarriere in der Schweiz, wo er sowohl die freie Gruppe Far A Day Cage leitete als auch am Stadttheater inszenierte; zuletzt war er in Basel Co-Schauspieldirektor. Zwischen den ästhetischen Welten der freien Szene (tendenziell postdramatisch) und des Stadttheaters (eher textorientiert) wird sich nun wohl auch das Schauspielhaus bewegen. Die Eröffnungsproduktion allerdings sieht eher so aus, als hätte eine freie Gruppe ein Stadttheater übernommen und wüsste jetzt nicht so recht, was sie damit anfangen soll. Politisch soll es sein, so viel steht fest. Aber wie soll man es anlegen? Klar ist zunächst nur: Ein Drama wird nicht gespielt, und es gibt keinen Autor, jedenfalls nicht im literarischen Sinn. "So ein Blatt Papier ist zu wenig!" Wir haben es stattdessen mit einer sogenannten Stückentwicklung des Regisseurs und seines Ensembles zu tun. Letzteres besteht aus drei Damen und vier Herren und ist die meiste Zeit vollzählig anwesend. Vor Stephan Webers Bühnenbild, das eine Kopie der neu gestalteten Schauspielhaus-Fassade darstellt, sitzen sie auf Stühlen und erzählen davon, "was unsere Geschichte hätte sein können". Sie sprechen konsequent im Konjunktiv und in der Vergangenheitsform, in Sätze wie diesem: "Es würde eh immer alles nix geändert haben."

Die Chuzpe, ein Theater mit einem solchen Anti-Theaterabend zu eröffnen, nötigt Respekt ab. Und im Prinzip ist es für einen Auftakt ja schlüssig, noch einmal ganz von vorne anzufangen mit dem Theater. Man fragt sich aber recht bald, wo das hinführen soll; nicht besonders weit, muss man am Ende leider sagen. Was selbstreferenziell gemeint ist, wirkt irgendwann nur noch selbstverliebt. "Punk & Politik" ist nicht besonders punkig, und auch das Politische ist mehr eine Behauptung.

Der Titel verweist auf den isländischen Punkmusiker und Comedian Jón Gnarr, der vier Jahre lang Bürgermeister von Reykjavik war und eine Art Maskottchen der Aufführung ist. Es werden Ausschnitte aus einer TV-Dokumentation über Gnarr gezeigt, und am Ende meldet sich der erfolgreiche Anti-Politiker auch noch mit einer Videobotschaft zu Wort. In einer anderen Videozuspielung erklärt der Wiener Schriftsteller Robert Menasse, warum er anstelle eines geplanten EU-Romans lieber einen politischen Essay über die EU geschrieben hat. Etwas Ähnliches ist vermutlich auch Tomas Schweigen passiert, nur dass seine Inszenierung auch für einen szenischen Essay zu wenig Substanz hat.

Dass der Abend nicht abstürzt, ist den Schauspielern zu verdanken. Das Konzept eines Autorentheaters ohne Autoren aber sollten sie noch einmal überdenken.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2719030
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.11.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.