Süddeutsche Zeitung

Theater:Diese Suppe ess ich nicht

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Karin Henkels witzlose Inszenierung von Eugene Labiches "Affäre Rue de Lourcine" in Berlin.

Von Till Briegleb

Fast immer gewinnt das unernste Schauspiel seinen Witz aus der Spaltung zwischen vorgestellter und wahrer Persönlichkeit, anständigen und hässlichen Verhaltensweisen, Schein und Sein. Ist der Widerspruch in einer Figur eher augenzwinkernd, so schmunzelt das Publikum, doch je gegensätzlicher die Charakterhälften sich gegenüberstehen, desto größer ist die Hoffnung auf wieherndes Gelächter im Saal (und vielleicht auch auf moralische Erziehung). Lässt sich das vielleicht noch steigern, wenn man das Schizophrene so weit vorantreibt, bis man zwei Personen auf der Bühne hat?

Das ist die Versuchsanordnung von Karin Henkel, mit der sie am Deutschen Theater Berlin Eugène Labiches 160 Jahre alten Komödiendauerbrenner "Die Affäre Rue de Lourcine" kernspaltet. Oscar Lenglumé wacht morgens mit Amnesie und höllischen Kopfschmerzen neben einem Fremden im Bett auf und erfährt später zufällig aus der Zeitung, dass er und sein Saufkumpan wohl einen Mord an einem Hausmädchen in der Rue de Lourcine verübt haben. Oscar begegnet sich im Laufe der Neunzig-Minuten-Affäre vor allem selbst: mal als echtem Doppelgänger, der, identisch angezogen, seine verstörten Runden durch das Bestattungsinstitut zieht, in dem Karin Henkel das Stück spielen lässt (Bühne: Henrike Engel). Aber vor allem im Bettnachbarn und "Komplizen" Mistingue.

Leider ist diese Pointe, die aus dem berühmten Psycho-Film "Fight Club" entliehen wurde, hier (anders als dort) sehr bald aufgelöst. Mit diversen plakativen Andeutungen setzt Karin Henkel das Publikum schnell in Kenntnis, dass Mistingue nur eine Vorstellung Lenglumés ist, die all das machen darf, was der Hausherr sich nicht traut. Saufen, den Geschmack der Suppe kritisieren, das Hausmädchen bespringen und schließlich auch alle ermorden, die etwas von dem abscheulichen Verbrechen der letzten Nacht wissen könnten. Aus der schnellen Klipp-Klapp-Komödie mit blitzender Situationskomik wird so ein etwas gläsernes Psychogramm, das sein wieherndes Gelächter vor allem durch Albernheiten erntet.

Wenn Michael Goldberg als Lenglumé vor seiner fassungslosen Gattin (Anita Vulesica) die ganzen Furz-, Schnarch- und Rülpslaute imitieren muss, die scheinbar aus seinem Schlafzimmer dringen, bilden sich Inseln der Lachkrämpfe im Publikum, oder auch das Wiederherrichten des "kaputtgemachten" Hausmädchens Justine (Wiebke Mollenhauer) in einer Slapsticknummer mit Mistingue (Felix Goeser) erheitert die Zuschauer sehr. Der eigentlich ambitionierte Ansatz, durch die Fortschreibung in die echte Persönlichkeitsspaltung der Boulevardkomödie neue Humordimensionen zu erobern, erschöpft sich dagegen bald in routinierter Küchenpsychologie.

Dass jeder ein triebhaftes Innenleben besitzt, das manchmal anders möchte, als die Situation es erlaubt, das ist frei von echter Rätselhaftigkeit doch eher ein ausgereizter Gemeinplatz. Manche Dinge werden eben einfach nicht dadurch besser, dass man sie mit Bedeutung aufbläst. Der Humor vergrößert im vorliegenden Fall damit nur sein Oberfläche und wird sehr durchscheinend. Was man dann innen zu sehen bekommt, das ist die grassierende Amnesie des eigentlichen Komödienhandwerks und der höllische Kopfschmerz, unbedingt eine originelle Idee haben zu müssen. Lachen, bis der Arzt kommt, fällt dabei leider aus.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2016
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