Süddeutsche Zeitung

Theater:Deutscher Geschichtseintopf

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Regisseur David Bösch inszeniert am Berliner Ensemble Luchino Viscontis "Die Verdammten".

Von Peter Laudenbach

Nazis haben Konjunktur am deutschen Stadttheater. Im redlichen Bemühen, auf die Wahlerfolge der AfD zu reagieren, holen viele Bühnen die Hakenkreuzflaggen aus dem Fundus. Vor lauter berechtigtem Anliegen und dem theaterüblichen Hang zu Querverschaltungen von Gegenwart mit Geschichte, Pathos-Effekten und Dramatisierungen auf Kosten eines halbwegs nüchternen Blicks geht dann leider öfter so einiges durcheinander.

Ein besonders albernes Beispiel für Nazi-Trash ist dem Berliner Ensemble mit einer hölzernen Adaption des seinerseits nicht eben mit diagnostischer Klarsicht gesegneten Visconti-Films "Die Verdammten" gelungen. Der Film von 1969 breitet die innerfamiliären Machtkämpfe im Großindustriellen-Clan von Essenbeck aus, der nach anfänglichem Zögern 1933 mit dem Hitlerregime paktiert. Luchino Visconti erzählt das, wie er all seine Filme erzählt, also als große Oper. Er schwelgt in den großbürgerlichen Interieurs so genussvoll wie in den sexuellen Perversionen, ein SS-Obersturmbannführer zieht als ein Genie des Bösen die Strippen, und am Ende könnte man glauben, Familie Krupp sei das erste Opfer der Nazis gewesen. Gewinnt der Film seinen morbiden Reiz aus der Starbesetzung und der schwülstig ausgestellten Faszination für schneidig dämonische SS-Uniformträger und verkommene Rüstungsmagnaten, bleibt davon am Berliner Ensemble in David Böschs Inszenierung nur bemühter Schulfunk übrig: Schaut her, liebe Kinder, so ruchlos geht es zu im Villenviertel.

Der Regisseur hakt mit der Sorgfalt eines Buchhalters jeden Intrigenschachzug ab, ohne dass ein erzählerischer Sog aufkommen würde oder die Figuren jenseits der Oberfläche Kontur entwickeln könnten. Uniform, Diva-Abendgarderobe, besser oder schlechter sitzende Anzüge müssen zur Charakterzeichnung genügen. Nicht einmal als didaktisch aufbereitete Unterrichtseinheit zur jüngeren deutschen Geschichte funktioniert der Abend. Weder über die Verbandelungen der deutschen Industrie mit den Nationalsozialisten im Allgemeinen noch über die Rolle des Krupp-Konzerns im Dritten Reich im Besonderen erfährt man Näheres. Die historische Folie ist nicht mehr als Reizverstärker-Kulisse zum Treiben des Ruhrbaron-Denverclans. Zur Geschichtsillustration dienen Filmeinspielungen, die konfus von Arbeitslosen der Weimarer Republik bis zu Helmut Kohl und Mauerfall reichen - ist ja alles irgendwie deutsche Historie. Überhaupt wärmen sich die zeitgeschichtlichen Verweise gerne am plakativen Bild und verschmähen keinen Theatereffekt, etwa wenn bei der nachgestellten Bücherverbrennung echte Flammen aus dem Bühnenboden flackern.

Von Viscontis Schaureizen ist auf der BE-Bühne nur ein einsamer Kronleuchter übrig geblieben, der über der langen, festlich gedeckten Tafel baumelt (Bühnenbild: Patrick Bannwart). Je stärker im Verlauf des Abends die familiäre Ordnung aus den Fugen gerät, desto weniger bleibt in überdeutlicher Symbolik auch von der Tischordnung übrig. Zu Beginn thront Familienpatriarch Joachim von Essenbeck (Wolfgang Michael) noch im Zweireiher am Ende der Tafel und verlangt das pünktliche Erscheinen der Sippe zu seiner Geburtstagsfeier. Kein Wunder, dass der knorrige Konservative, der die Nazis schon aus Standesgründen verachtet, das erste Mordopfer des Abends wird. Martin Rentzsch macht es sich als SS-Sturmbannführer von Aschenbach in seiner Rolle gemütlich als wären wir in einem Historiendrama von Guido Knopp. Unwillkürlich befürchtet man bei seinem Anblick, das sei der Traum jedes deutschen Stadttheaterchargen: einmal den eleganten SS-Mann mit überlegener Kälte ausstatten! Peter Moltzen sorgt für unfreiwillige Komik, wenn er seinem Karrieristen Friedrich Bruckmann vor den aufstiegsnotwendigen Morden mit Hamlet-Zitaten an der Rampe als skrupulösen Zauderer veredelt.

Einzig Corinna Kirchoff gelingt als Bruckmanns Geliebte Sophie so etwas wie eine Figur, wenn auch eine aus einem Nazi-Trash-Comic oder einem schlechteren Tarantino-Film: kalt wie die Tiefkühltruhe im Führerbunker, hart wie Kruppstahl und elegant wie Zarah Leander an besseren Tagen.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2018
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