Süddeutsche Zeitung

Haus der Kunst:Autonomie in der Kapelle

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Von Jörg Häntzschel

Was hat Leni Riefenstahl mit R'n'B, was ein Olympiasieger mit Modefotografie zu tun? Das Großartige an der Kunst ist, dass sie auch solche Beziehungen herstellen kann, ohne erklären zu müssen, was sie bedeuten. Der amerikanische Konzeptkünstler Theaster Gates ist ein Meister darin. Seine Installation "Black Chapel" im Münchner Haus der Kunst ist eine Kollektion von Fundsachen aus der afroamerikanischen Geschichte, die nicht systematisch, sondern assoziativ arrangiert sind und deshalb umso erhellender werden.

Das Herzstück des Ensembles ist zugleich das unscheinbarste Exponat: Es ist die 1800 LPs umfassende Plattensammlung des legendären schwarzen Sprinters Jesse Owens. Gates hat sie von den Nachfahren des 1980 gestorbenen Sportlers erworben und hier in einer viele Meter langen Wandnische verstaut.

In einem kurzen Video hat Gates einige der berühmten Aufnahmen, die Leni Riefenstahl von Owens' Triumph bei der Berliner Olympiade von 1936 gemacht hat, zusammengeschnitten mit Szenen aus dem damaligen schwarzen Alltag. Ein paar Minuten genügen ihm, um die vielen Bruchlinien zu zeigen, die in Owens' Person zusammenliefen: Man sieht, wie fasziniert Hitlers Chefästhetin von dem schwarzen Athleten ist, der an den weißen Konkurrenten vorbeifliegt. Man sieht, wie diese Bilder emblematisch die Rassenideologie der Nazis widerlegten. Man weiß auch, dass Owens vorgeworfen wurde, er habe durch seine Teilnahme das rassistische Naziregime legitimiert. Und dass er andererseits in den USA vielleicht noch schlimmer diskriminiert wurde als in Deutschland.

Sein weltweiter Ruhm half ihm später wenig. Um Geld zu verdienen, trat er sogar gegen Pferde an. Als seine Reinigung pleite ging, schlug er sich als Tankwart durch. "Es gab kein Fernsehen, keine Werbung. Jedenfalls nicht für einen Schwarzen", sagte er einmal. Seine Sammlung mit schwarzer Musik, Jazz, R'n'B, Soul, die Gates erworben hat, kam seiner kulturellen Selbstbehauptung wohl am nächsten. Nun gibt sie hier ein stilles Gastspiel - in Hitlers Haus der Kunst.

Statt die weiße Mode schwarzen Models anzuziehen, arbeiteten die Magazinmacher an einer eigenen, schwarzen Schönheit

Genau die Sorte afroamerikanischer Autonomie in Kultur und Medien, deren Fehlen Owens beklagte, propagierten seit den Sechzigern die Zeitschriften Ebony und Jet. Gates hat für sein Chicagoer Kunst- und Kulturzentrum "Stony Island Arts Bank" ihr Bildarchiv gekauft und zeigt hier ein paar der beeindruckendsten Fotos: auf Monumentalformat vergrößert und in beleuchteten Reklamekästen, wo sie alle paar Sekunden durchgewechselt werden.

Eine Frau trägt bunte Federn wie ein seltener Vogel, eine andere weißen Pelz über einem gelben Kleid mit blau-silbernen Applikationen, vielleicht Insignien eines afrikanischen Volks, eine scheint einen traditionellen Tanz aufzuführen: Statt die weiße Mode schwarzen Models anzuziehen, arbeiteten die Magazinmacher an einer eigenen, schwarzen Schönheit. Den umgekehrten Weg gehen die reportageartigen Bilder: Eine schwarze Frau rekelt sich in einem luxuriösen Liegestuhl, eine brütet über einem Steuerratgeber: Sie zeigen eine schwarze obere Mittelklasse, die damals kaum existierte.

Lag das nicht alles weit weg von der Realität der allermeisten Schwarzen? "Ja, sicher", sagt Gates bei der Ausstellungseröffnung. "Es waren die späten Sechziger, die Zeit der Rassenunruhen in Detroit, in Chicago, in Alabama. Aber diese Bilder bewiesen, dass es Hoffnung gab, obwohl Menschen getötet wurden." Es ist der afroamerikanische Traum: "Man sieht einen schwarzen Zahnarzt und seinen neuen Cadillac, der schwarze Zahnarzt hat auch eine wunderbare Familie, er wird geliebt, und mit dem Cadillac besucht er seine Verwandten im Süden." Und die Exotisierung der Schwarzen durch allerlei afrikanische Referenzen? Hätten Weiße sich dies ausgedacht, wäre es Rassismus gewesen. So handelt es sich um kulturelle Emanzipation.

Gates will seine "Black Chapel" afroamerikanischer Kultur und Geschichte als Club verstanden wissen. Im Zentrum drehen sich statt Discokugeln zwei eisbergartig geformte Körper mit Spiegelbesatz. Man kann sie auch als Stadt verstehen, hier die Werbekästen, dort alte Neon-Reklame für Soulfood und Bier und hinten ein Museum im Museum: eine Vitrine, in der afrikanische Masken - auf eher sperrigen Ständern - und Ur-Texte der amerikanischen Geschichte zu sehen sind, halb ausgestellt, halb wie Sperrmüll übereinandergeworfen, halb aktualisiert, halb für überholt erklärt.

Als das Publikum "Club" hörte, leuchteten gleich die Augen. Gates ist schließlich auch Besitzer einer anderen Plattensammlung, der des legendären House-Pioniers Frankie Knuckles. Als er also am Samstag zu einem Konzert mit den Black Monks of Mississippi einlud - Motto: "Come shout with us and shake your funky ass!" - erwarteten viele eine tolle Party. Doch so billig gibt Gates die schwarze Kultur nicht zum Amüsement weißer Deutscher her. Stattdessen sang ein achtstimmiger Chor Gospels, die Gates und sein Ensemble auseinandergenommen, verlangsamt und zu komplexen Klanggebilden geschichtet hatten, sie erinnerten an gregorianische Choräle ebenso wie an die Kompositionen von Philip Glass. Sie ließen einem den Atem stocken, zum Hinternwackeln animierten sie niemanden. Das mit der "Kapelle" war schon ernst gemeint.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019
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