Süddeutsche Zeitung

Baukultur:Schöner leben

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Am letzten Juni-Wochenende wird in Deutschland der "Tag der Architektur" gefeiert. Vor Ort in Nordrhein-Westfalen oder auch digital in Bayern, mit Schulhaus und Ziegenstall.

Von Gerhard Matzig

Ab Samstag wird in Deutschland der "Tag der Architektur" gefeiert, der ja ein ganzes Wochenende der Baukunst umfasst. Seit 1994 findet er statt, etwa in Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Thüringen; seit genau 20 Jahren wird er bundesweit einheitlich als eine öffentlich begehbare Leistungsschau der zeitgenössischen Baukultur am letzten Juni-Wochenende gefeiert; und in Bayern, wo die Uhren anders ticken, heißt die auch hier immer publikumswirksamer werdende Veranstaltung so: "Architektouren".

In diesem Jahr feiern die mit dem Begriff der Architektur spielenden Architektouren zum 25. Dienst- und zum 50. Architektenkammer-Jubiläum bayernweit auch eine Retrospektive. Dem Rückblick auf ein Vierteljahrhundert des Bauens dient ein zum Kompendium der jüngeren Baugeschichte Bayerns verdichtetes Booklet. Erinnernd zu bestaunen ist etwa Peter Haimerls wundersam schönes Projekt "Birg mich, Cilli" im niederbayerischen Viechtach (2008) oder die Aussegnungshalle in München-Riem (Meck Architekten, Köppel, 2000), das Schmuttertal-Gymnasium in Diedorf von Florian Nagler (2015) oder, ja doch!, ein Ziegenstall in Seubersdorf, entworfen 2014 von Kühnlein Architektur.

Man sollte die Ziegen fragen, ob der berühmte Satz über die Wechselwirkung von Raum und Leben auch im Tierreich gültig ist: "Erst bauen Menschen Häuser, dann bauen Häuser Menschen." Oder auch Ziegen. Mit Blick auf die archaisch-bescheidene, eben drum auch zeichenhaft geglückte Fichtenholzbohlen-Architektur als Kunst der Zurückhaltung, lässt sich behaupten: Architektur dient dem Leben und dem Alltag, dem Kleinen im großen Ganzen. Nicht umgekehrt. Das illustriert die Absage an eine längst überstrapazierte, immer modischer sich spreizende Spektakelhaftigkeit am Bau. Und ist emblematisch für das diesjährige Motto: "Architektur gestaltet Zukunft" - indem sie Raum gibt, statt ihn zu beanspruchen. Und auch indem sie die Vergangenheit nicht schroff zur Seite schiebt, sondern stützt.

Der von Grellmann Kriebel Teichmann & Partner entworfene und offen konzipierte Neubau eines evangelischen Gemeindehauses in Bad Neustadt demonstriert genau diese Haltung: einfach und klar in unserer Zeit verortet - dienend und doch auf Augenhöhe mit dem historischen Kirchenbau. Das Projekt ist eines des Gesprächs. Es dokumentiert das Bauen als so souveränes wie verantwortungsvolles, kontextuelles Weiterbauen - im Gegensatz zum immer ältlicher erscheinenden Neu-neu-neu-Gestus anderswo.

In Bayern sind die Architektouren aus Gründen der Pandemie in digitaler Form zu erleben ( www.byak.de). Anderswo, etwa in Nordrhein-Westfalen, werden in 64 Städten und Gemeinden 117 Architekturprojekte öffentlich vorgestellt und diskutiert. Ob vor Ort oder im Netz: Wenn es die Architektur ist, die die Zukunft gestaltet, dann sollten auch die Corona-Erfahrungen der Vergangenheit eine Rolle spielen. Zum Beispiel die mit schlecht organisierten Wohnungen, die mit der Innenstadt-Monokultur des Einzelhandels und die mit dem Fehlen von Grünräumen. Den Ziegen darf die Welt auch gefallen.

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