Süddeutsche Zeitung

Svetlana Alpers über Walker Evans:Der Mann, der Amerika erfand

Lesezeit: 2 min

Svetlana Alpers schafft Verbindungen von der enorm einflussreichen Bildsprache des Fotografen Walker Evans zur Literatur.

Von Tobias Lehmkuhl

Sicherlich waren Alfred Stieglitz und Paul Strand für die Entwicklung der Fotografie in den USA im frühen 20. Jahrhundert von großer Bedeutung. Aber niemand hat wohl so viel Einfluss auf nachfolgende (und heutige) Fotografen ausgeübt wie Walker Evans. Man kann Svetlana Alpers nur zustimmen, wenn sie schreibt, Evans, 1903 in Saint Louis, Missouri, geboren, habe Amerika überhaupt erst erfunden.

Stephen Shore, Garry Winogrand, Lee Friedlander, sie alle wandeln auf seinen Spuren, denn er ist es, der den Blick fürs Alltägliche, Gewöhnliche geschärft und überhaupt erst geöffnet hat: Auf die nassen Straßen, schiefen Häuser, staubigen Möbel, die man auf seinen Bildern sofort als uramerikanisch erkennt, auch wenn es anderswo auf der Welt ebenfalls Straßen, Häuser und Autos gibt. Ganz zu schweigen von den Farmersfamilien im Süden der USA und den Menschen in der New Yorker U-Bahn, die Evans porträtiert hat.

Es ist also grundsätzlich erst einmal zu begrüßen, wenn Walker Evans ein Buch gewidmet wird. Gute Bücher (oder Aufsätze) über Fotografie gibt es nicht viele, und so werden auch immer wieder dieselben zitiert: die von Walter Benjamin, Roland Barthes und Susan Sontag.

Die Kunsthistorikerin Svetlana Alpers, deren "Walker Evans. America. Leben und Kunst" nun in der Übersetzung von Wolfgang Kemp vorliegt, schafft neue Verbindungen, indem sie, die bisher nur über Malerei geschrieben hat, sich ausführlich der Beziehung von Walker Evans zu Gustave Flaubert und Charles Baudelaire widmet. Alpers bezeichnet Evans' Fotografie als besonders "literarisch". Es ist aber an Wolfgang Kemp, in seinem Nachwort zu erläutern, was sie damit eigentlich meint: "Narrativ", also erzählerisch, seien die Fotografien, sie würden immer auch eine Geschichte transportieren.

In anderen Kapiteln ihres Buches, das weniger einer Biografie als einer Sammlung von Essays ähnelt, widmet sich Alpers Walker Evans' Aufenthalt auf Kuba, seiner Art, Bilder nachzubearbeiten, seiner Zeit beim Magazin Fortune und seinem "Rückzug nach innen".

Wer aber so weit und bis zum umfangreichen und hervorragend gedruckten Bildteil vordringen möchte, muss einige Mühen auf sich nehmen, und das liegt an der Übersetzung. Wolfgang Kemp ist Kunsthistoriker, Fotografie-Experte, hat schon das Vorwort zu Alpers' 1985 auf Deutsch erschienenem Buch "Kunst als Beschreibung" verfasst. Aber er ist, auch wenn er 2018 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa erhalten hat, kein Übersetzer. Sein deutscher Text bleibt teilweise bis zur Unverständlichkeit dem englischen Satzbau und der englischen Begrifflichkeit verhaftet.

So heißt es, am Anfang von Walker Evans' und James Agees "Let us now praise famous men" stehe ein "rhapsodischer Ausguss. Er handelt von dem Wunsch, mit der Schwester des Mannes, bei dem sie lebten, ins Bett zu gehen". Was um Himmels willen ist ein rhapsodischer Ausguss? Auf derselben Seite liest man: "Agee konnte gut mit Menschen und eröffnete für Evans Zugänge mit der Kamera." Abgesehen davon, dass nichts in diesem Satz einem deutschen Satz ähnelt außer den einzelnen Wörtern, stimmt auch der Subjekt-Objekt-Bezug nicht. Schließlich ist Agee der Autor, nicht der Mann mit der Kamera.

Es finden sich auf jeder Seite solche Beispiele. So lässt sich die Qualität von Alpers' Text nur eingeschränkt beurteilen, aber es überwiegt der Eindruck, hier bringe jemand lieber etwas auf trockene Begriffe, als das zu tun, was Walker Evans tat: die Augen aufmachen und zeigen, was man sieht.

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