Süddeutsche Zeitung

Stonehenge im Fichtelgebirge:Noch ein Wunder. Oder auch zwei

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Freizeitpark mit Hinkelsteinen: In Wunsiedel soll eine Replik von "Stonehenge" errichtet werden. Absurd? Total. Doch die Baugeschichte ist auch die Geschichte der Fälschungen.

Von Gerhard Matzig

"Wer Banknoten nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft." Dieser Satz war lange auf den alten D-Mark-Scheinen zu lesen. 1974 ersetzte man das "Zuchthaus" durch "Freiheitsstrafe" und ab 1990 dachte man sich, vielleicht an das Gute im Menschen glaubend: Das Nachmachen oder das Verfälschen und sowieso das In-Verkehr-Bringen - wer bitte macht denn so was?

Nicolas Lahovnik zum Beispiel. Das ist der durchaus smarte Bürgermeister von Wunsiedel. Der aber trotzdem keine Angst vor dem Zuchthaus haben muss. Zu schweigen von der Todesstrafe, die im sechsten Jahrhundert v. Chr. noch den Falschmünzern drohte. Angst hat er auch nicht. Also der Bürgermeister, nicht der Falschmünzer. Obwohl Lahovnik gerade in aller Öffentlichkeit emsig daran arbeitet, zumindest nachgemachte oder verfälschte (Beton-)Steine in Verkehr zu bringen. Ein Haufen Steine ist allerdings noch kein Haufen Geld. Aber, und das spricht keineswegs gegen Lahovnik: Das muss ja nicht so bleiben. Jedenfalls kann er vielleicht schon bald einen Freizeitpark namens "Wunhenge" als maßstabsgetreue Imitation des ein paar Tausend Jahre alten Weltwunders von Stonehenge zu jener Wirklichkeit werden lassen, von der man sich fragen könnte, wie wirklich sie wirklich wäre.

Aber vielleicht ist diese Frage genauso naiv wie die Vorstellung, Wunhenge als neues Wahrzeichen des fränkischen Fichtelgebirges könne irgendwas mit einem wahren Zeichen zu tun haben in einer Zeit, die die Differenz zwischen dem Wahren, dem Wahn und der Ware so entschlossen abgeschafft hat wie zuvor die D-Mark-Scheine und das Zuchthaus. Gut, dass man das Zuchthaus weggesperrt hat. Das Wahre aber, es hört sich in Zeiten alternativer Faktizität an wie eine Kostüm-Operette, hätte eine günstige Resozialisierungsprognose verdient. So schnell sollte man das angestaubte Wahre, Schöne, Gute vielleicht noch nicht preisgeben. Sonst bleibt nur Pablo Picassos leicht übellauniger Satz übrig: "Es gibt viel mehr Kopien als Originale." Übrig geblieben ist auf jeden Fall Walter Benjamins Schrift über "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit", auch wenn Benjamin eher keine Steine im Sinn hatte.

Fast wahr. Fast schön. Fast gut

Womit wir wieder in Wunsiedel angekommen wären, wo der Bürgermeister eine Eins-zu-eins-Kopie von Stonehenge plant. Derzeit sucht man noch nach Investoren, um das Imitat zu realisieren. Das soll dem Original, einem ringförmigen Erdwall, in dessen Absenkung sich verschieden gruppierte Formationen aus Megalithen befinden, so nahekommen wie Wunsiedel Amesbury im Südwesten Englands eben nahekommen kann. Aus dem Naturstein in England wird dann im Zuge dieser Copy-and-paste-Aktion sowie aus finanziellen Gründen "kolorierter Beton" (Lahovnik im SZ-Gespräch). Aber es wäre immer noch ein ganzer Haufen von Beton, der einem Haufen von Steinen zum Verwechseln ähnlich sein sollte. Müsste. Könnte. Oder auch nicht.

Davon aber wird abhängen, ob daraus ein "weltweit einzigartiges Tourismusprojekt" entstehen kann. Das Wunder dieses Projekts, zu dem man dem Fichtelgebirge alles Wahre, Schöne, Gute wünscht, deren tinnefartige Schwundstufen gleichzeitig befürchtet (fast wahr, fast schön, fast gut), besteht schon jetzt unter anderem darin, eine Kopie als "weltweit einzigartig" zu beschreiben. Das hat was.

Es passt in eine Zeit, die das Kopieren, Imitieren und Nachäffen zumindest in baulicher Hinsicht keineswegs neu erfinden muss. Das gilt nicht nur für Stonehenge, das schon der australische Geschäftsmann Ross Smith auf seinem eigenen Grundstück (man kann es sich großzügig dimensioniert vorstellen) "originalgetreu" nachbauen lassen wollte. Übrigens aus Granit, nicht aus koloriertem Beton oder, was auch recht wetterfest wäre für ein paar Jahrtausende, gleich aus Plastik. Später war davon nichts mehr zu hören. Aber auch in Wunsiedel ist es ja nicht der erste Anlauf. Und vielleicht, so Kenner des Fränkischen, erzeugt das Projekt auch deshalb nicht mehr viel Emotion. Weder Begeisterung noch Ablehnung. Was eigentlich sehr verwunderlich ist. Auch eine Möglichkeit: Man hat sich längst an das Kopisten-Tun gewöhnt und erwartet so etwas wie tatsächliche Einzigartigkeit gar nicht mehr.

Man nennt die Kopien "Travestiestädte"

Wie in China, wo nicht nur gefälschte Autos, Smartphones oder Designerfummel überraschend günstig zu haben sind. In Peking durfte man mal ein ganzes Kaufhaus voller Kopie-Manufakturen besuchen. Was man aber erst begriff, als man das wunderschöne Schachspiel aus Elfenbein, Holz und Leder auf umgerechnet zehn Euro runtergehandelt hatte - dann aber mit dem Plastikimitat in der Tüte den Laden verließ. Die nette Verkäuferin meinte noch: "Das ist eine gute Kopie." In China unterscheidet man nicht zwischen Original und Fälschung, sondern zwischen guter und schlechter Kopie. Das Schach macht heute noch Freude.

Außerhalb von Hangzhou in der Provinz Zhejiang gibt es seit 2007 eine Art Paris - jedenfalls etwas, was so tut wie die Stadt an der Seine. London und Hannover sollen übrigens auch noch zu Ende kopiert werden. Hannover? Echt jetzt? Sozusagen. Ganze Schweizer Bergdörfer sind schon in China entstanden. Man nennt das "Travestiestädte". Oxford Street, Weimar, Hofbräuhaus: Gibt es alles ein bis ein paar Mal. Den Petersdom in Rom gibt es aber mutmaßlich bisher nur zwei Mal: einmal überraschenderweise in Rom und einmal an der Elfenbeinküste. Aber es wäre von München aus gar nicht ratsam, das lächerlich finden zu wollen: Am Königsplatz hat man halb Griechenland nachgebaut, der Chinesische (!) Turm steht im Englischen (!) Garten und in Florenz kommt man an, wenn man die U6 am Odeonsplatz verlässt und Richtung Loggia dei Lanzi geht. Heißt bei uns halt Feldherrnhalle.

Warum Wunsiedel dennoch abzuraten ist von Stonhenge in Franken? Nicht wegen Franken - es ist schön dort. Vielleicht nicht ganz so südwestenglisch wie in Südwestengland. Das wichtigste Kriterium ist aber: Wenn man in Stonehenge ist, ist man glücklich, weil das Wunder der Steine dort so rätselhaft ist, so magisch, mythisch und fremd. Wenn man in Stonehenge vor dem Bauwerk steht, spürt man etwas von der universalen Frage: Was zum Teufel soll das? Und die Antwort, die man im Fichtelgebirge erhalten wird, lautet: Das soll ein Geldhaufen sein ("weltweit einzigartiges Tourismusprojekt"). Das ist aber kein Wunder, das ist so banal wie kolorierter Beton. Dann doch lieber gleich was aus Plastik, in einem Spielzeugmaßstab - und zum Mitnehmen. Gibt's aber leider auch schon. In Stonehenge.

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