Süddeutsche Zeitung

Klassische Musik:Nie klingen Opern so wild und so zart wie bei Teodor Currentzis

Lesezeit: 2 min

Der genial-radikale Dirigent ist der Star der Salzburger Festspiele. Die Premiere seines "Idomeneo" wird mit Spannung erwartet, denn Currentzis und Regisseur Peter Sellars greifen mitunter rigoros in Partituren ein.

Von Egbert Tholl

Als Teodor Currentzis vor zwei Jahren bei den Salzburger Festspielen Mozarts "La clemenza di Tito" dirigierte, glaubte man, ein bislang unbekanntes Werk zu hören. Noch nie war die Musik dieser Oper so zart und gleichzeitig so wild gespielt worden; strahlender Jubel stand annähernd unverbunden neben rhythmisch exaltiertem Gehämmere, alles war sexy, dunkel grundiert, zu jeder Sekunde aufregend. Dazu kam, dass Currentzis und der Regisseur Peter Sellars andere Musikstücke von Mozart hinzunahmen, ein gerade für Salzburg sensationell sinnstiftendes Sakrileg, das trefflich über dramaturgische Probleme dieser Oper hinwegtrug. Spät in der Nacht zog Currentzis dann mit dem Chor in die Kollegienkirche und beschwor in einem Konzert Mozarts Geist.

Wenn diesen Samstag Mozarts "Idomeneo" Premiere in Salzburg hat, werden Currentzis und Sellars wieder in die Partitur eingreifen, werden Arien, die sie grässlich finden, durch andere ersetzen. Es ist zu erwarten, dass die Aufführung ein weiterer Höhepunkt in der an Höhepunkten reichen Karriere Currentzis' wird.

Geboren wurde er 1972 in Athen, lernte mit fünf Jahren Klavier und mit sieben Geige, ging mit 22 zum Studium nach St. Petersburg zum berühmten Lehrer Ilya Musin und wurde 2004 Chefdirigent der Oper von Nowosibirsk. Hier nun begann sein sagenhafter Aufstieg, bald wurde auch im Westen vom sibirischen Musikwunder geraunt. Currentzis gründete sein eigenes Orchester und seinen eigenen Chor: "Musica Aeterna" wurde zu einer verschworenen Gemeinschaft, die sich selbst als Bruderschaft bezeichnete und gern auch mal in Mönchskutten auftrat und auftritt, die Musiker spielen dabei, soweit möglich, im Stehen. Das wäre in seiner semisakralen Anmutung ein fabelhafter Firlefanz, wäre die musikalische Qualität nicht so herausragend.

Currentzis ist ein penibler Musikforscher, doch seine Dirigate haben mit anämischem Akademismus nichts zu tun, er paart historische Informiertheit mit radikaler Expressivität. Als er bei der Ruhrtriennale 2015 Wagners "Rheingold" dirigierte, konnte man ihn schön bei der Arbeit beobachten. Das Bühnenbild war das Orchester selbst, Currentzis verzichtete auf ein Podium, auch auf einen Taktstock, er formte die Musik mit seinen Händen, tänzelte, ja tanzte, inhalierte mit offenem Mund die Musik, trug ein schwarzes Flatterhemd und schwarze Springerstiefel mit roten Schnürsenkeln. Auf der Premierenfeier danach legte er selbstversunken elektronische Musik auf.

Currentzis musste sein "Himmelreich" verlassen, jetzt leitet er das SWR-Sinfonieorchester

Nach seinem persönlichen Wunder von Nowosibirsk ging er nach Perm und machte dort genauso weiter, dirigierte immer mehr in Westeuropa, leitete die aufsehenerregende Wiederentdeckung von Mieczysław Weinbergs Oper "Die Passagierin" bei den Bregenzer Festspielen, dirigierte viele namhafte Orchester und übernahm im Sommer vergangenen Jahres die Leitung des SWR-Sinfonieorchesters in Stuttgart, das zuvor ohne echte Notwendigkeit aus den zwei bis dahin bestehenden SWR-Orchestern zusammengespart worden war - gegen diese Fusion hatte Currentzis immer wieder protestiert.

Nun führt er dieses neu entstandene Orchester zu Ruhm, widmet sich daneben vor allem in geradezu manischen Probenprozessen seinem Orchester Musica Aeterna. Die Leitung der Oper in Perm hat er gerade abgegeben, aufgrund von Differenzen mit der örtlichen Verwaltung: "Ohne deren völliges Unverständnis, ohne jedes Fehlen von Ehrfurcht und Einfühlungsvermögen hätte ich nicht die Kraft für diese Entscheidung aufgebracht, mein Himmelreich zu verlassen."

Currentzis ähnelt mitunter Gary Oldman als irrem Waffenhändler in Luc Bessons "Das fünfte Element". Er selbst spielte im kilometerlangen Film-Wahnsinn "Dau" von Ilya Khrzhanovsky den sowjetischen Physiker und Nobelpreisträger Lew Landau, eine geniale, sexbesessene, manische Figur. In manchen Facetten erinnert die wohl an ihn selbst.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4540698
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.