Süddeutsche Zeitung

Raubkunst-Debatte:Richtig, falsch, übereilt, nichtig und sehr mutig

Lesezeit: 3 min

Emmanuel Macron gibt 26 Kunstwerke aus Benin an Museen zurück - und am heftigsten reagiert der Kunstmarkt.

Von J. Hanimann, J. Häntzschel und T. Kirchner

Freitagabend, 20 Uhr: Um diese Zeit machen sogar Staatschefs Feierabend. Oder treffen sich, wenn sie so angeschlagen sind wie Emmanuel Macron, mit Beratern, um am politischen Überleben zu arbeiten. Der jedoch nutzte die Zeit anders: Er restituierte 26 Kunstwerke aus Benin, die dort 1892 unter dem französischen General Dodds geraubt worden waren und von dem Land seit Langem zurückgefordert werden. Genau das hatten Bénédicte Savoy und Felwine Sarr in ihrem Bericht zum Umgang mit Frankreichs kolonialer Raubkunst als erste Maßnahme empfohlen ( SZ vom 22. November). Sie hatten ihn Macron unmittelbar zuvor übergeben.

Die Reaktionen auf den Bericht, der unter www.restitutionreport2018. com zu lesen ist, schwanken in Frankreich zwischen Stolz und Bange, als erschräke das Land über seinen eigenen Mut. Museumsleiter, die eine weitreichende Rückgabe im Prinzip unterstützen, schweigen sich fürs Erste aus, angefangen mit Stéphane Martin, dem Direktor des Pariser Musée du Quai-Branly, das mit 46 000 Objekten die größte Afrika-Sammlung in Frankreich besitzt. Dass es sein Haus so massiv treffen würde, hatte er nicht erwartet.

Die heftigsten Einwände gegen den Bericht kommen vom Kunstmarkt

Weit über die Museumskreise hinaus reicht aber die Sorge über die durch die Rückgabe notwendig gewordene Gesetzesänderung. Das Prinzip der Unveräußerlichkeit von Kulturgut in französischen Staatsmuseen war im öffentlichkeitsgläubigen Land bisher nie ernsthaft angefochten worden. Mit ihr konnte auch das Rückgabegesuch von Benin für die Schätze aus dem Reich Dahomey höflich abgelehnt werden: Wir würden gern, aber geht leider nicht. Und manche fragen, ob durch eine Lockerung für zwischenstaatliche Vereinbarungen nicht bald auch der Kunstmarkt Zugang zu diesem Staatseigentum finden.

Dabei kommen die heftigsten Einwände gerade vom Kunstmarkt, obwohl sich der Savoy-Sarr-Bericht nur auf Museen bezieht. Er sei null und nichtig, erklärt der Fachanwalt Yves-Bernard Debie, denn entgegen Macrons Ankündigung sei kein Vertreter des Kunstmarkts angehört worden. Sie befürchten von der neuen Rückgabepolitik eine Verunsicherung ihrer Kunden. Die Aufkündigung des Prinzips der Unveräußerlichkeit öffentlicher Kunstsammlungen sei gravierend, schimpft Didier Rykner von der Tribune de l'Art und fragt: Warum nun ein so überstürztes Rückgabeangebot an Benin? Doch wohl, argwöhnt er, weil eine der Wortführerinnen für die Rückgabe Marie-Cécile Zinsou heiße. Sie ist die Tochter Lionel Zinsous, des ehemaligen Premierministers von Benin und einstigen Arbeitskollegen Emmanuel Macrons bei der Finanzbank Rothschild.

Tatsächlich setzt Marie-Cécile Zinsou als Leiterin der 2005 gegründeten und von ihrem Vater weitgehend getragenen Stiftung Zinsou in Cotonou sich resolut für eine großzügige Rückgabe ein. Macrons Entscheid sei aber vor allem eine symbolische Geste, beschwichtigt sie, die Lastwagen stünden noch nicht für den Abtransport vor dem Quai-Branly-Museum. Manche frühere Äußerungen Frau Zinsous werden von den Gegnern heute allerdings gegen die Rückgabepolitik eingesetzt. Der Zustand der öffentlichen Museen Benins sei desolat, erklärte sie 2016, als sie einzelne Stücke für ihre Stiftung erwarb. Auch der ihr nahestehende Künstler Romuald Hazoumé äußert Bedenken: Er kenne sein Land gut und sei nicht so sicher, ob die zurückgegebenen Werke nicht irgendwann auf dem Privatmarkt landeten.

Steht es Europa aber wirklich an, den Afrikanern Unfähigkeit zu einem anständigen Museumsbau und systematische Korruptionsanfälligkeit zu unterstellen? Der beste Weg zu Normalisierung und gegenseitigem Vertrauen sei es, meint Marie-Cécile Zinsou, den Völkern die volle Verantwortung für ihr Kulturerbe zurückzugeben. Über die Dringlichkeit gehen die Ansichten zwischen den Ungeduldigen und den Besonnenen auseinander. Nichts überstürzen, mahnt etwa die Direktorin des Zivilisationsmuseums von Abidjan, Silvie Memel Kassi: Die Elfenbeinküste, deren Museen beim Bürgerkrieg 2011 gelitten hätten, ziehe eine behutsame, aber dauerhafte Rückgabe dem Pokern um spektakuläre Transaktionen vor.

Deutsche Kulturfunktionäre äußerten sich bisher verhalten bis skeptisch. Einige hatten den Bericht noch nicht gelesen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters ließ am Freitag verlautbaren, ihre Haltung zu den Vorschlägen von Savoy und Sarr sei eindeutig: "Raubkunst muss zurückgegeben werden, das gilt auch für Kulturgüter aus kolonialen Kontexten. Das setzt Provenienzforschung voraus, die Deutschland in den letzten Jahren deutlich intensiviert hat und weiter ausbaut." Fast wortgleich lasen sich die Verlautbarungen von Hartmut Dorgerloh, Intendant des Humboldt-Forums, Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Michelle Müntefering, Staatsministerin für auswärtige Kultur. Erst nächste Woche will man sich eingehender äußern.

Auch bei den Museen ringt man offenbar noch um Worte. Ines de Castro vom Stuttgarter Linden-Museum, die den Bericht noch nicht lesen konnte, sagte der SZ, der Bericht sei "ein mutiger erster Schritt", sie frage sich aber, "ob man die Kolonialzeit wirklich so eng definieren sollte. Im neuen Leitfaden des Museumsbundes sehen wir Unrechtskontexte lange vor und nach dem 19. Jahrhundert, und nicht nur in Afrika". Guido Gryseels, seit 17 Jahren Direktor des Afrika-Museums in Tervuren bei Brüssel, das in zwei Wochen neu eröffnet wird, schwankte im Gespräch mit der SZ zwischen Zustimmung und Ablehnung: Zwar sei der Bericht wertvoll für die Diskussion, doch die Wege des Raubguts seien verschlungen: "Erst mal müssen wir wissen, wie es jeweils genau zu uns kam", erklärte er. "Man kann nicht einfach sagen: Okay, die Afrikaner sind moralisch im Recht, es ist ihr Erbe, also schicken wir alles zurück. Einen Teil dieses Erbes - Archive und ähnliches - könnte man relativ schnell digitalisieren und dann in digitaler Form zurückgeben."

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Quelle:
SZ vom 26.11.2018
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