Süddeutsche Zeitung

Pornografieverbot im Internet:Beide Hände auf die Tastatur!

Lesezeit: 5 min

In Großbritannien und Island mobilisiert die Debatte um einen Filter für Internetpornografie Gegner und Unterstützer. Beide Seiten wiederholen Argumente aus den Achtzigerjahren und vergessen dabei: Ein Verbot hilft der Gleichberechtigung nicht weiter.

Von Richard Beck

Am 22. Juli verkündete der britische Premierminister David Cameron, dass von Ende nächsten Jahres an sämtliche Internet-Provider den Zugang zu Online-Pornografie filtern werden. In seiner Verlautbarung argumentierte Cameron, dies sei ein wichtiger Schritt, um die jüngsten Bürger des Landes zu schützen.

Haushalte, die auf Pornografie nicht verzichten wollen, werden ihre Provider ausdrücklich darum bitten müssen, die Filter abzustellen, die standardmäßig eingeschaltet sein werden. Kurz gesagt: Erwachsene, die gerne erwachsene Dinge ansehen, werden ihre Internetfirma anrufen und deutlich sagen müssen: "Ich möchte bitte Pornografie ansehen."

Gegen sexuelle Gewalt und Kinderpornografie

Camerons Ankündigung folgte auf einen Vorschlag von Islands Innenminister Ögmundur Jónasson vom Anfang des Jahres, alle Formen von Pornografie zu verbieten, sei es in gedruckter Form oder im Internet. Der Aufschrei war groß. Es wäre der erste Versuch eines flächendeckenden Porno-Verbots in einer westlichen Demokratie. Sex vom Kommerz zu befreien, versucht die isländische Regierung allerdings schon länger: Bereits 2009 hatte das Parlament bezahlten Sex für illegal erklärt. Strip-Clubs wurden 2010 verboten. Streng genommen, ist auch Pornografie seit Jahrzehnten nicht mehr erlaubt. Das Verbot wurde allerdings nie vollständig umgesetzt, und so blieben Playboy, Sexshops und Online-Pornografie auch in Island Teil der kulturellen und ökonomischen Landschaft.

Nach Beratungen mit der Polizei und mit Erziehungs- und Gesundheitsexperten stellte die damalige, inzwischen abgewählte rot-grüne Regierung fest, dass Pornografie für Frauen und besonders für Kinder eine Gefahr darstellt. "Wenn ein Zwölfjähriger bei Google ,Porno' eingibt", so die politische Beraterin des Innenministers, Halla Gunnarsdóttir, zu der kanadischen Zeitung The Globe and Mail, "dann wird er oder sie nicht Fotos von einer nackten Frau draußen auf dem Feld finden, sondern harte und brutale Gewalt."

Schwarze Liste für Suchmaschinen

Dieses Hardcore-Material wollte die damalige Regierung ins Visier nehmen. Sie wollte nicht alle Abbildungen von Nacktheit verbieten, sondern nur solche, die Sex in "gewalttätiger" oder "verächtlicher" Weise darstellen. "Wir sind eine progressive, liberale Gesellschaft, wenn es um Nacktheit oder sexuelle Beziehungen geht", sagte Gunnarsdóttir.

Nun findet man diese Sprache der progressiven Gender-Politik und Bürgerrechte zwar nicht in Camerons Ankündigung, aber sein Ansatz ist ähnlich, wenn er behauptet, dass es ihm vor allem darum geht, sexuelle Gewalt und Kinderpornografie zu zensieren. Er verkündete auch, dass Suchmaschinen per Gesetz die Suche nach Begriffen blockieren sollen, die auf einer schwarzen Liste stehen, welche das britische Zentrum für Kindesmissbrauch und Online-Schutz erstellen soll. "Ich habe eine klare Botschaft an Google, Bing, Yahoo und den Rest", sagte Cameron. "Sie sind verpflichtet, danach zu handeln. Es ist eine moralische Pflicht."

Gail Dines, Anti-Pornografie-Aktivistin und Wissenschaftlerin am Wheelock College in Boston, lobte in einem Interview die isländische Regierung dafür, "Pornografie aus einer neuen Perspektive zu betrachten, die auch den Schaden berücksichtigt, der den mitwirkenden Frauen zugefügt wird, bis zur Verletzung ihrer Bürgerrechte".

Diese Position ist allerdings nicht neu. Bereits in den Achtzigerjahren hatten sich in vielen amerikanischen Bundesstaaten Aktivisten für Pornografieverbote eingesetzt. Angeführt von zwei prominenten Feministinnen, der Schriftstellerin Andrea Dworkin und der Rechtswissenschaftlerin Catharine MacKinnon, wurde die Anti-Porno-Bewegung zu einer ernstzunehmenden Macht. Vielleicht kann ein Blick auf diese Geschichte helfen, wichtige Fragen über das in Island noch immer umstrittene Gesetz zu beantworten.

Gute Erotik gegen schlechte Pornografie

"Das größte Thema von Pornografie", schrieb Dworkin 1981, "ist männliche Macht, ihre Natur, ihre Größe, ihr Nutzen, ihre Bedeutung." Durch ihre unglaubliche Bühnenpräsenz und ihre beschwörerische Redeweise ergänzte Dworkin die juristische Argumentation um eine beinahe spirituelle Dimension.

Ihre Auftritte bei öffentlichen Anhörungen in Minneapolis im Jahr 1983 machten aus den Gefahren von Pornografie nationalen Gesprächsstoff. Wenn amerikanische Liberale heute ihr Unwohlsein gegenüber Misogynie artikulieren, sich beschweren, dass Pornografie Sex "zu einer Ware" und den Körper "zum Objekt macht", dann verwenden sie die Sprache Dworkins und MacKinnons, ob sie es wissen oder nicht.

In politischer Hinsicht kann man die Anti-Porno-Bewegung kaum als Erfolg bezeichnen: Jede auf Drängen von Dworkin und MacKinnon erlassene Bestimmung wurde entweder aufgrund des ersten Verfassungszusatzes von den Gerichten aufgehoben, oder die betroffenen Bürgermeister legten vor Gericht ihr Veto ein.

Camerons Anstrengungen werden zweifellos auf den Widerstand von Kritikern treffen, die jetzt schon behaupten, dass seine Webfilter nicht nur auf Pornografie abzielen, sondern auch auf Websites, die Alkohol und Tabak bewerben, Essstörungen fördern oder zu Terrorismus aufrufen. Außerdem wehrten sich in den USA damals einige der in Magazinen und Filmen auftretenden Frauen gegen die Behauptung, sie seien hilflose, traumatisierte Opfer. Sie waren nicht begeistert davon, dass man den Beruf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienten, für illegal erklären wollte.

Auch Frauen schauen gerne Pornos

Die Anti-Porno-Bewegung führte auch unter den Feministinnen selbst zu bitteren Konflikten. In ihrem Buch "Battling Pornography" berichtet die Historikerin Carolyn Bronstein, dass die Aktivistinnen von "Women Against Pornography" viele Briefe von Frauen erhielten, die sagten, sie sähen gerne Pornos. Mit einem "falschen Bewusstsein" habe das nichts zu tun. Sie lernten sogar etwas über Sex.

Andere wehrten sich gegen den Anspruch einer fast nur aus weißen Akademikerinnen bestehenden Gruppe, darüber zu bestimmen, welche Arten von Sex "auf Gleichberechtigung basieren" und welche nicht. "In der Praxis", so die feministische Intellektuelle Ellen Willis, "laufen alle Versuche, gute Erotik von schlechtem Porno zu trennen, auf den Gedanken hinaus: ,Was mich anturnt, ist erotisch; was dich anturnt, ist pornografisch.'"

Wird das in Island anders sein? MacKinnon steht auch hinter den Anti-Prostitutions-Gesetzen, die in den vergangenen Jahren in den skandinavischen Ländern verabschiedet wurden. Darum ist es keine Überraschung, wenn nun auch Island Rhetorik und Taktik der amerikanischen Anti-Porno-Bewegung imitiert.

Dabei könnte die isländische Initiative gerade dort scheitern, wo sie ihre spektakulärsten Erfolge feiern will: im Internet. Sogar für westliche Verhältnisse ist Island eine extrem vernetzte Gesellschaft. Circa 95 Prozent der 320 000 Bürger haben Internetzugang. Im Sog der Finanzkrise von 2008, die weite Teile der isländischen Wirtschaft in Trümmern zurückließ, begab sich das Land auf Seelensuche und entwarf zum Schutz gegen künftige Krisen sogar eine neue Verfassung.

Deren Entwurf wurde im Juli 2011 dem isländischen Parlament vorgelegt und beinhaltete zahlreiche Passagen, die von den Bürgern per Facebook und Twitter vorgeschlagen wurden. Das als "Verfassung 2.0" bekannt gewordene, inzwischen im isländischen Parlament so gut wie gescheiterte Rechtsdokument enthielt auch einen weltweit einzigartig starken Schutz der Pressefreiheit.

Entweder Pornoverbot oder Redefreiheit

Mit seinen Argumenten für Gleichberechtigung und Kinderfürsorge scheint das Porno-Verbot gut in diese neue nationale Fortschrittlichkeitsrhetorik zu passen. Doch angesichts des einzigartigen Engagements des Landes für das demokratische Potenzial sozialer Medien hat die Initiative lautstarke Einwände hervorgerufen. In einem offenen Brief warnt die Isländische Initiative für moderne Medien, es sei "technisch unmöglich, Inhalte im Internet zu zensieren, ohne die gesamte Telekommunikation zu überwachen". Darum sei die Zensur von Pornografie in Island in keiner Weise besser als die Unterdrückung der Redefreiheit in Iran, China oder Nordkorea".

Auch diese Kritik hat ihren Ursprung in den Achtzigern, als ein Kritiker der Anti-Porno-Bestimmungen sagte: "Wenn Pornografie sexuelle Diskriminierung ist, dann ist ein kritischer Leitartikel gegen den Präsidenten Verrat."

Die Debatte mag ein wenig überspannt klingen, vor allem was die leichtfertigen Vergleiche mit brutalen Regimen angeht. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Anhänger des Pornoverbots nicht bloß auf schnelle Lösungen aus sind, statt für tief greifende politische und soziale Veränderungen zu kämpfen. Natürlich spiegeln und verstärken Pornos den Sexismus in der Gesellschaft. Aber das tun auch die Sportschau, rosa Prinzessinnen-Kinderbücher, der rechte Flügel der republikanischen Partei und die Oscar-Moderation des Komikers Seth MacFarlane.

Obwohl der Premierminister Cameron und der isländische Innenminister aus politisch vollkommen unterschiedlichen Lagern kommen, haben sie ihre Vorschläge für ein Pornografieverbot doch mit erstaunlich ähnlichen rhetorischen Mitteln und Vokabeln begründet. Das sollte Progressive stutzig machen. Die konservative Daily Mail, die Cameron monatelang unter Druck gesetzt hatte, strengere Pornografiegesetze zu initiieren, brachte auf ihrer Website neben dem Text, der die neue Initiative lobte, ein gutes Dutzend Links zu Onlinegalerien mit verschiedenen weiblichen Promis in Badeanzügen, unter ihnen eine Schauspielerin, die erst 17 Jahre alt ist.

So bleibt die Frage, ob ein Pornoverbot, selbst wenn es technologisch machbar wäre, tatsächlich ein hilfreicher Beitrag zur Gleichberechtigung der Geschlechter wäre. Die Geschichte legt eine klare Antwort nahe: nein.

Aus dem Englischen von Jens-Christian Rabe.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2013
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