Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Verwunschen schimmernd

Lesezeit: 3 min

Mit neuer Musik sowie der Antwort auf die Frage, wer Songs schreibt, die nichts zurücklassen außer Wehmut.

Von Juliane Liebert

Coachella verschoben, SXSW abgesagt, Pearl Jams Tour verschoben, Iggy Pops Auftritte in Frankreich verschoben, die Touren von Billie Eilish, Post Malone, Tool, Bob Dylan, The Jesus and Mary Chain unbestimmt vertagt. Kurz: Alle bleiben jetzt erst mal zu Hause. Am schönsten hat es Dave Grohl von den Foo Fighters formuliert: "Hallo, hier ist Dave. Erinnert ihr euch an mich? Der Typ, der nicht einmal eine Show verschob, als sein verdammtes Bein abfiel?", schrieb er in einem Brief an seine Fans. Und erklärte, warum das jetzt anders ist. Schwor, die Tour nachzuholen, und endete mit: "Jetzt geht und wascht euch die Hände." Danke Dave. Bleibt man halt zu Hause. Und macht selbst Musik! Moog und Korg, haben ihre Synthesizer-Apps anlässlich der Pandemie kostenlos zugänglich gemacht. Wer mag, kann die Minimoog Model D iOS-App von Moog und die iKaossilator-App von Korg für iOS und Android derzeit umsonst herunterladen und seine eigenen Quarantänesongs aufnehmen. Musikhören geht zu Hause bekanntlich auch ganz gut, und Alben erscheinen glücklicherweise weiter.

Zum Beispiel "Vitamin C" von der Wiener Band My Ugly Clementine. Als Piefke stutzt man erst einmal, wenn der Pressetext My Ugly Clementine als Supergroup ankündigt. Nach Wiener Maßstäben - und welche anderen wären gültig? - ist die Werbebezeichnung aber um keine Palatschinkenlänge übertrieben. Alle Musikerinnen sind seit Jahren im österreichischen Alternative-Pop unterwegs: Bassistin und Sängerin Sophie Lindinger als Teil von Leyya, Gitarristin Mira Lu Kovacs unter dem Projektnamen Schmiede Puls. Die neue Band spielte bereits kurz nach der Gründung als Vorband für AnnenMayKantereit. Ihr Debüt "Vitamin C" ist so fröhlich wie fein gearbeitet, gleitet stilsicher zwischen Melodien mit Popglanz und handfestem Indierock mit gelegentlichen Bluestupfern dahin. Genau richtig angeschmutzter Wohlklang prägt auch den Gesang, mitsamt Textzeilen zur Quarantäne: "It makes me sad to see a world driven by fear" heißt es da. Oder - fürs einsame Versacken zu Hause tröstlich - "I don't care if you wash you hair" im "Hairwashsong". Solange man die Hände wäscht! Der von Musikerinnen wie Courtney Barnett, Frankie Cosmos und zuletzt Soccer Mommy feministisch wiederbelebte Gitarrenindiepop hat endlich einen rundum satisfaktionsfähigen Beitrag aus Österreich. Übrigens rufen My Ugly Clementine aktuell auf Facebook dazu auf, fleißig Alben zu kaufen, möglichst auch als physische Tonträger, weil die Künstlerinnen derzeit unter der coronakrisenbedingten Absage sämtlicher Veranstaltungen leiden. Wir schließen uns diesem Appell an dieser Stelle gerne an!

Paul Webb, früher Bassist von Talk Talk, hat als Rustin Man gemeinsam mit Beth Gibbons vor achtzehn Jahren ein eigensinnig schönes Album vorgelegt. Es hieß "Out Of Season", klang nicht weniger mysteriös als Gibbons' berühmte Band Portishead. Die gesamte Geschichte melodiöser populärer Musik schien aus ihm aufzusteigen, ohne etwas zurückzulassen als eine geheimnisvolle Wehmut. Danach veröffentlichte Rustin Man 17 Jahre keine neue LP. Im vergangenen Jahr erschien schließlich "Drift Code" und nun bereits "Clockdust". Es entstammt denselben Aufnahme-Sessions wie der Vorgänger und ähnelt ihm im Soundprofil stark. Das hier ein von Moden völlig unabhängiger Geist musiziert ist unüberhörbar wie eh und je. Bläser, Klavier und diverse Zupfinstrumente verschmelzen zu seltsamen Amalgamen; hübsche Folkgitarren wachsen in verwunschen schimmernde musikalische Verästelungen hinein.

Irgendwo zwischen Elektropop und R'n'B steht Holly Låpsley Fletcher aus Liverpool, also dort, wo sich auch Songwriter wie James Blake herumtreiben. Låpsley begann bereits als Teenager Musik zu veröffentlichen, die Billie Eilish beeinflusst hat. Jetzt ist sie auch erst 23 und legt vier Jahre nach ihrem Debüt ihr zweites Album vor. In der Zwischenzeit hat sie unter anderem einen Kurs in Geburtshilfe absolviert. Was man eben so macht als junge Sängerin, die nach dem Sinn des Lebens sucht. "Through Water" ist ein homogenes, aber gar nicht langweiliges Album geworden. Immer wieder wird der Elektroteppich von unerwarteten Impulsen in Bewegung gesetzt. Da setzt in "Our Love Is A Garden" der ansonsten balladesk hallende Achtziger-Beat aus und stolpert dann super groovy wieder in den Song. Flöten wie aus dem Ambient-Paradies umperlen eine erdenwarme Synthie-Melodie im Zwischenspiel "Leeds Liverpool Canal". Låpsley verschmilzt so Synthie-Soul mit Art-Pop der Achtziger zu transparentem, zeitgenössischem Pop, der sich nicht anbiedern muss, um zu gefallen.

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SZ vom 18.03.2020
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