Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Wird die Welt eigentlich ein besserer Ort?

Lesezeit: 3 min

Sagen wir so: Immerhin gibt es Lil Nas X. Und TikTok.

Von Jakob Biazza

Wird die Welt eigentlich ein besserer Ort? Also wenigstens vom Pop aus gesehen? Es gibt gerade immerhin ein paar Alben und Phänomene, die bei einer Antwort helfen können: Der Rapper Olexesh etwa veröffentlicht am Freitag sein neues Album "Ufos Überm Block" (385idéal/Universal Music). Musikalisch ist es beinahe spannend. Sehr bedrohliche Beats, ein paar fies verzogene Synthies, ganz dunkle Atmosphäre. Dann aber die Texte. Erster Song nach dem Intro: "Block". Die Zeilen drei und vier: "Ich bin dreckig und verroht, ich hab den Sex schon gut geprobt / Ich bin kein Klotz, doch überred' sie mit zwei Alkopops".

Dann geht es um sein Geschlechtsteil, das angeblich sehr groß ist, und um ein Schlüsselloch, das bestimmt eine Metapher ist. Was also die Eingangsfrage betrifft: Olexesh lässt in dem Song sein lyrisches Ich offenbar von einer sexuellen Handlung mit einer jungen Frau (möglicherweise Jugendlichen, da diese bekanntlich häufig Alkopops trinken) bedingt durch das Ausgeben von Alkopops berichten; dies beim selben Label, das sich zuletzt vom Rapper Samra distanziert hat, nachdem es gegen den Vergewaltigungsvorwürfe gegeben hatte. Universal heißt es und ist Marktführer.

Gegen-Indiz: Lil Nas X, seit seinem Über-Hit "Old Town Road" ja eine der Pop-Sensationen der Gegenwart, ist im Vergleich ein Rapper, der das Leben sehr vieler Menschen bereichert. Doch, doch. Man vergisst das ja so leicht im laufenden Krieg der angeblich alten angeblich Weißen gegen die angeblich jungen angeblich Bunten, der Woken-Twitter-Community mit ihren Identitätsdebatten und der anderen Seite, die so gern vergisst, dass sie ja auch Identitätspolitik macht - nur eben für das etablierte System. Jedenfalls: Man schaue in den Tweets zu Lil Nas Xs Debüt-Album "Montero" (Sony Music) mal nach, mit wie viel Liebe, Wärme und Freude, mit welch rührender Euphorie und Energie die Menschen ihm dort danken, dass er die Queerness in den Hip-Hop gebracht hat. Dass er also inzwischen offen schwul in einem System lebt, das es einem damit mindestens so schwer macht wie der Profi-Fußball.

Lil Nas X ist aber nicht nur der Retter vieler bunter Seelen. Er ist auch sehr witzig. Kürzlich retweete er eine NFL-Spielszene: zwei Football-Spieler, die im, nennen wir es mal Gerangel, aussehen, als würden sie mit Karacho jene Position einnehmen, die man auf Pornoportalen unter dem Suchbegriff "69" findet. Text: "It's so beautiful to see the ,thats what i want' video inspiring the league". Schön zu sehen, dass das Video zu "That's What I Want" die Liga inspiriert. Der Song, das nur nebenbei, ist der durchaus schönste, strahlendste, tanzbarste Liebessehnsuchts-Song des Jahres. Im Video sieht man zwei Football-Spieler, die Sex haben. Sehr explizit, sehr schön gefilmt, sehr rührend. Und was soll man sagen: Womöglich wird die Welt hier ja doch langsam besser oder wenigstens entspannter. Der Backlash jedenfalls blieb weitestgehend aus. Zumindest von Deutschland aus bekam man nichts mit von einem Quarterback, der, um die Sache wieder geradezurücken, sofort 47 Jungfrauen schwängern musste. Oder einem Linebacker, der sich aus Scham, Wut und Verwirrung spontan selbstentzündet hat.

Ach so, das Album ist übrigens eine Sensation. Dicke Raps, Flows vom feinsten, souveräne Machtposen. Vor allem aber: sehr gefräßige, wirklich bösartige Ohrwürmer. Eine enorme Pop-Herrlichkeit.

Und sonst? Kleines Leerstück der modernen Musikökonomie: Wer gerade in die deutschen Single-Charts blickt, findet dort neben den aktuellen Hits der üblichen Verdächtigen - Ed Sheeran, Justin Bieber, diverse deutsche Gangsta-Rapper - auf dem achten Platz auch den ziemlich grandiosen Song "Heat Waves" der britischen Indiepop-Band Glass Animals. Das wäre an sich für die deutschen Charts schon ungewöhnlich genug, guter britischer Indiepop verirrt sich selten dorthin. Es ist aber auch noch so, dass "Heat Waves" schon ein gutes Jahr alt ist. Geht man der Sache nach, findet sich sogar noch Erstaunlicheres: Der Song steht derzeit auch auf dem fünften Platz der Global Charts von Spotify, ist also beim erfolgreichsten Musik-Streamingdienst der Welt unter den fünf meistgehörten Songs. Wie kann das sein? Ganz einfach: "Heat Waves" war der Soundtrack zu einem Video, das auf der Social-Media-Plattform TikTok viral ging. Allzu glamourös darf man sich das allerdings nicht vorstellen: Der virale Clip erinnert daran, dass McDonalds nun - seufz - seit zwei Jahren keine geringelten Pommes mehr auf der Karte hat. Jedem seine Hitzewelle.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5424106
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.