Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Die Weltordnung steht Kopf

Lesezeit: 3 min

Rap klingt inzwischen wie Grunge, die Band "half•alive" vergrault Streamer mit Gitarren, Ufo361 entführt in Unterwasserwelten, und selbst Trump mischt sich in die Popwelt ein.

Von Juliane Liebert

"Fair is foul and foul is fair" lautet die Losung in Shakespeares "Macbeth": Die Weltordnung steht kopf. In Russland wurde gerade Bürgern, die persönlich vorsprachen, um ihre Unterschrift zugunsten der Opposition zu bestätigen, von den Behörden mitgeteilt, sie würden nicht existieren. Hip-Hop artet neuerdings unvermittelt in eine überzogene Version von Grunge aus. Die Musikerin und Youtuberin Poppy, die mit ihrem uncanny J-Pop-Stil die wunderbare Warenwelt als Hölle feiert, kombiniert sterilen Seifenblasenpop mit Metal. Nur der Indie siecht seit Jahren im Schatten der Spielarten des R 'n' B dahin.

Die kalifornische Band half•alive (mit dekorativem Punkt, damit man den wenig kreativen Bandnamen besser googeln kann) täuscht auf ihrem Debüt nun ebenfalls mit Zerrgitarren und Feedback guten alten Dreckrock an, vermutlich als Prank aufmerksamkeitsdefizitärer Streaming-Skipper. Was dann folgt, ist aber lieblicher Tanzpop für modisch gekleidete Menschen. Manchmal flattert die französische Band Phoenix durchs Klangbild, dann wird eine Prise Soul eingestreut. Funky Disco mit Falsett. In den zahlreichen Videos (gefühlt zu fast jedem Song auf dem Album) tanzen Menschen in bunten Farben. Genau wie auf dem Albumcover. Den dort Tanzenden fehlt allerdings der Kopf, womit die Musik hinreichend beschrieben ist.

Unterdessen hatte der amerikanische Präsident unerwartet sein Engagement für diskriminierte Minderheiten entdeckt und Schweden sozusagen mit Weapons of Elch Destruction gedroht, falls es den Rapper A$AP Rocky, der dort wegen Körperverletzung angeklagt ist, nicht unverzüglich aus der Untersuchungshaft entlässt. Nun ist der Mann frei und zurück in den USA. Dort wurden allerdings gerade 20 Menschen von einem rassistisch motivierten Attentäter erschossen. Die Mitgefühlfloskeln des Präsidenten auf Twitter wollte Rihanna nicht auf sich sitzen lassen und erinnerte ihn an seine politische Verantwortung: "Donald, du hast 'Terrorismus' falsch geschrieben", schrieb sie auf Instagram, und: "Stell dir eine Welt vor, in der es einfacher ist, eine AK-47 zu bekommen als eine Visa-Karte."

Grund genug, ins Ufo361 zu steigen und in die psychedelische Unterwasserwelt zu fliehen, die als Artwork das neue Album des deutschen Rappers ziert. Ein Delfin, ein Tiefseemonster und das Kottbusser Tor sind dort stimmig vereint. "Shorty hol mir noch nen Shot, ja, ey" singt das Autotune-Plug-in. Hier machen Gangster Wellness-Rap. Cro für native Kreuzberger sozusagen. Aus Stuttgart ist aber nur die S-Klasse importiert, in der Ufo und seine Homies durch die Songs cruisen.

Der unvermeidliche Autotune-Effekt legt sich auch als cremiger Guss auf das zweite Album von Trippie Redd, der, aus Ohio stammend, in der Trap-City Atlanta musikalisch sozialisiert wurde. Mit XXXTentation verband ihn eine komplizierte Rapper-Freundschaft. Das neue Album, lakonisch "!" betitelt, ist melodiös, melancholisch, eingängig. "They Afraid of You" endet - wie sollte es in diesen Zeiten anders sein - mit einem Rockgitarrensolo. Auch dunklere Gefühle kommen sehr smooth rüber. Über einem souligen Gesangsloop und einem treibenden Beat rappt Trippie in "Immortal" von der Unsterblichkeit und dem frühen Tod.

Cara Delevingne muss nichts mehr beweisen. Das Schönste an Luc Bessons "Valerian" war ihr mitleidig genervter Blick. In ihrer Jugend hat sie kurzzeitig mal mit Marika Hackman in einer Band gespielt. Kann man diese Combo bitte reaktivieren? Vielleicht gemeinsam mit Annie Clark? Man wüsste zu gerne, was die drei wohl zusammen so alles zustande brächten! Womit Marikas Künste als Solo-Artist nicht gering geschätzt sein sollen. Sympathisch antidramatisch, wie sie ihr jüngstes Release "Any Human Friend" mit stillem Folk beginnt. Die Gitarre bitcrushig verzerrt, dazu singt sie: "Yes, she was kinder then, in Berlin" - wo auch sonst? In Berlin ist die Freundlichkeit schließlich zu Hause.

Unvermittelt bringt uns schließlich ein alieneskes Aufwärtsglissando aus wabernden Synths in einen launigen Pop-Stampfer, der trotz eindeutiger Indie-Gitarren sicher auch das Gütesiegel von half•alive bekäme. "Rub me 'til my ego is raw" ist eine Textzeile, die man sich merkt. Zwischen diesen beiden Polen - Folk und Tanzmusik, beide mit der Vorsilbe Indie - bewegen sich die Songs des Albums. Was dabei rauskommt, ist unprätentiöser, gekonnter handmade Pop. Da ist dann die Welt für einen Moment fast wieder in Ordnung.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2019
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