Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Deutscher Kleister

Lesezeit: 3 min

Alex Christensen spaxt sich ein Orchester zusammen, David Hasselhoff macht Party. Und Moses Pelham? Lässt Laubbläser Bekanntschaft mit dem Hessischen machen.

Von Jakob Biazza

Was macht der Pop in Deutschland eigentlich so? Hin und wieder kann man das ja fragen, und sei es nur, um sich vor der Antwort erst zu fürchten - und dann zu grausen. Die Charts immerhin haben gerade überrascht. Leoniden sind mit ihrem vor anderthalb Wochen erschienenen Album mit dem wunderbaren Namen "Complex Happenings Reduced To A Simple Design" (Irrsinn Tonträger) doch tatsächlich auf Platz eins gelandet. Ziemlich manierlicher Indie-Rock, der immer dann noch etwas besser ist, wenn er sich traut, ein bisschen knautschig und noch bettwarm herumzutapsen (was sehr gut zur Band aus Kiel passt), und wenn er also nicht versucht, muskulös und bedrohlich zu klingen (was nicht so gut passt). Platz vier: Lorde. Platz fünf: Olivia Rodrigo. Davor ist freilich ein bisschen Frauenhasser-Rap und etwas von den Toten Hosen. Aber im Großen und Ganzen kann man den Hörern hier grad gar nicht so viel vorwerfen.

Was zu Alex Christensen führt. Von dem droht natürlich Gefahr. Christensen war in den Neunzigern ein für seine Zeit sehr entscheidender Komponist und Produzent. Oder, wie er das auf seiner Homepage selbst formuliert: "Mit Singles wie 'Das Boot' und 'united' hat er die 90er entschieden mitgeprägt und den Dance- und Technoboom in Schwung gebracht." Dann hat er den wirklich sehr guten Trick alternder Classic-Rock-Stars für sich entdeckt und adaptiert - er hat das exakt selbe weitergemacht, aber mit Orchester (Homepage: "Mit der Reihe 'Classical 90s Dance' brachte Alex Christensen dann gar Klassik und Dance Music zusammen."). Gut 300 000 Mal hat sich das zuletzt verkauft. Und "nun", ein letztes Mal die Homepage, "schreibt er die Erfolgsgeschichte weiter: In 'Classical 80s Dance' finden die ikonischen Hits der 80er ihre neue, orchestrale Heimat." Was heißt, dass er Songs, die im Original ja meistens über ihren manischen Fokus auf nur wenige markante Elemente funktionieren (#dafürgibtesproduzenten), schaufelweise mit hypernervösen und gleichzeitig irgendwie schmierigen Streichern bewirft. Und dann noch eine Viertel-stampfende Bassdrum drunterspaxt. Damit dürfte Alex Christensen zu den ganz wenigen Produzenten gehören, bei denen selbst sehr unverkennbare Achtziger-Hits noch nach 90ies-Dance klingen. Prägend, der Mann.

Winziger Nachtrag: Die Art, wie Gary Barlow - Kopf und Herrscher bei Take That, Jahrzehnt-Antipode zu Robbie Williams und, das merkt man hier mal wieder, weithin unterschätzter Sänger - bei "Don't Dream It's Over" Luft in den Kleister bringt, verdient nichts als Anerkennung. Wundervoll, der Mann.

Was alles wiederum absolut zwingend weiter zu David Hasselhoff führt. Hasselhoff ist, zumindest als Musiker, inzwischen ja eigentlich eingebürgert, passt also unbedingt in diese Reihe. Hier sind die Fans, die Liebe, die Duett-Partner von Harald Juhnke bis Blümchen, die Menschen, die Dokus über ihn drehen, und ihn dabei nicht auf seinen Auftritt im Hitler-Kostüm ansprechen (eine Referenz an ein Mel-Brooks-Musical damals, aber natürlich auch darin ein relevantes Thema). Für hier hat er natürlich auch den Song "Damnit I Love You" aufgenommen, was, man erkennt das am Anfang nicht sofort, eine englische Version von Matthias Reims (deutscher David Hasselhoff?) "Verdammt ich lieb' dich" ist - und damit nur einer von ganz vielen, sanft neu interpretierten Songs auf "Party Your Hasselhoff" (Restless/The Orchard/Sony), dem Album, das er am Freitag hier veröffentlicht ("I Was Made vor Loving You" ist dabei und auch "The Passenger"). Auf dem Album-Cover sind Teile des Namens mit diesen metallisch glänzenden Party-Luftballons in Buchstabenform geschrieben. Sie bilden die Worte "Ass off". Und die Schönheit hier ist, dass das Album auch ganz, ganz, ganz genau so klingt.

Und damit noch zu Moses Pelham. Pelham war in den Neunzigern ein für seine Zeit sehr entscheidender Komponist und Produzent. Dann hat er den wirklich sehr guten Trick mittel-alternder Hip-Hop-Stars für sich entdeckt und adaptiert, und das nicht ganz exakt selbe weitergemacht, aber mit rehäugig leidenden Sängerinnen. Jetzt bringt er ein neues Solo-Album heraus. "Nostalgie Tape" (Sony Music) heißt es, enthält in der Hauptsache eine nur ganz leicht altersmilde Form von Battle-Rap und ein paar Gastauftritte von Marteria, Namika oder Cora E (die Älteren werden sich erinnern). Und was soll man sagen, auch hier: weithin unterschätzt der Mann! Fast so sehr wie das Hessische im Rap. Topp-MC. Steht ihm irre gut, statt Bedenken und Weltschmerz mal wieder etwas auszugeben, dem man den Fachterminus "Nackenschellen" aufdrücken muss. In seinen Worten: "Einsteigen - un' auf gedda / gegen meine Zeilen sind andre Laubbläser."

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