Süddeutsche Zeitung

Kings of Leon:Oh bitte, kauft mich!

Lesezeit: 3 min

Die "Kings Of Leon" legten zwei grandiose Indierock-Alben vor, bevor sie in den Mainstream abbogen. Aber warum wird das der Band, deren neues Album "Walls" nun erscheint, so übel genommen?

Von Juliane Liebert

Ein Album muss nicht gut sein, um eine gute Geschichte zu erzählen. "Walls", das siebte Album der amerikanischen Rockband Kings of Leon erzählt die Geschichte von drei Brüdern und einem Cousin aus Tennessee, die nach zwei sehr guten Alben in den frühen und mittleren Nullerjahren - 2003 "Youth and Young Manhood" und 2005 "Aha Shake Heartbreak" - eine scharfe Kehrtwende Richtung Mainstream machten, Weltruhm erlangten, Models heirateten und großen Zeitungen und Medien Interviews über Bratwürste gaben.

Die Bratwurstphase ist eine schwierige Zeit für eine Band. Die Illusion, jung und wild zu sein, ist verflogen. Die Phase des ersten Erfolges, in der man noch verblüfft davon war, täglich Bäder in Ecstasy nehmen zu können, ist vorbei, und Models sind als Ehefrauen dann eben irgendwann auch nur noch Ehefrauen. Die Fans der ersten Stunde sind sauer, dass man keinen Schrammelrock mehr macht. Und die Fans der zweiten Stunde finden immer, dass das "aktuelle Album aber nun wirklich der Beweis ist, dass man die Band vergessen kann". Es ist eine finstere Zeit.

Die Band hat ihr eigenes Rotweinfest

Die Bratwurstphase ereilt einen Musiker meist so um die 30, er hat also noch gut 30 Jahre zu überstehen, bis er es in die Leonard-Cohen-Phase schafft, in der Publikum und Kritiker klein beigeben und ihn allesamt super finden, einfach, weil er immer noch da ist. Die Aufgabe des Musikers in der Bratwurstphase ist deshalb einerseits populär und massentauglich genug zu bleiben, damit er nicht vergessen wird, aber gleichzeitig irgendwie auch den Sprung in die höhere Popkultur zu schaffen. Kings of Leon haben vorerst ihr eigenes Rotweinfest. Nun ja.

Eine Verschwörungstheorie: Ist "Walls" überhaupt von den Kings of Leon?

Der Titel "Walls" passt nämlich eigentlich gar nicht in ihr übliches Konzept. Bisher hatten die Alben der Band immer 5-silbige Titel. "Youth & Young Manhood", "Aha Shake Heartbreak", "Mechanical Bull". Wenigstens eine Silbe fehlt also beim neuen Album: "Walls" sollte lieber "Paywalls" heißen, denn es ist Musik, bei der man unablässig das Gefühl hat, dass einem etwas verkauft werden soll: "Liebe Zuhörer, heute für Sie im Angebot: Die erste Single "Waste A Moment" von den Kings Of Leon alias, die rockige Variante von Coldplay'! Fundament ist eine luftige Gitarrensohle, darüber flexibel-nöliger Gesang, ein bisschen Stadion, ein bisschen Indie, schon seit 2006 im Angebot, aber jetzt noch mal günstiger!"

"Reverend" klingt wie etwas, das sich ein Werbestratege in der Badewanne ausgedacht hat

Der darauf folgende Song "Reverend" geht noch weiter und klingt wie etwas, das sich ein Werbestratege in der Badewanne ausgedacht und dann auf's Album geschmuggelt hat. "Find Me" beginnt als klassischer "Schaut mal, wie gut ich Gitarre spielen kann"-Track und endlich weiß der Hörer auch, wo er sich wirklich befindet: In der finalen Episode einer dieser Shopping-Reality-TV-Serien. Die Teilnehmenden haben vier Minuten und 5 Sekunden, um das perfekte Outfit zusammenzustellen, sie laufen durch verschiedene Läden. Einer kriegt die Haare gemacht. Einer weint. Einer wechselt seine Schuhe. Schon sind sie auf dem roten Teppich. Ein letzter Blick in den Spiegel. Tusch.

Nein, die Geschichte, die "Walls" erzählt, ist keine neue Geschichte. Es ist die alte Geschichte von Musikern, die in den Mainstream abgebogen sind. Wann haben sie den Blues verloren? Warum funktioniert die ausgestellte Traurigkeit beim neuen Album selbst bei Songs wie "Walls" nicht, die eigentlich von dieser Traurigkeit handeln? Und warum nimmt man nun gerade den Kings of Leon diese Entwicklung so überdurchschnittlich übel?

Vielleicht, weil sie einmal wirklich gut waren. Man höre nur rauere, verrückte, lebendige alte Kings-of-Leon-Songs wie "Wasted Time" oder "Molly's Chambers". Meist kommt die Mainstreamisierung ja eher schleichend als Altersmilde daher, aber bei den Kings of Leon war der Bruch sehr auffällig. Erst machen sie Schrammelmusik, dann - zackbumm - plötzlich Stadionrock. Vom ersten Platz der Indierock-Charts auf den ersten Platz der Billboard-Mainstream-Charts. Da war keine Entwicklung, sondern ein krasser Schnitt. So extrem gibt es das selten. Und nur sehr wenige Künstler schaffen es, dabei nicht banal zu werden.

"Walls" beweist leider erneut: Die Kings of Leon gehören nicht dazu.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2016
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