Süddeutsche Zeitung

Album: "McCartney III":Bleibt also: Paul McCartney

Lesezeit: 3 min

Der Bärchenhafteste unter den "Beatles" ist der letzte Gewährsmann fürs Band-Vermächtnis. Wie gut, dass er auf seinem neuen, grandiosen Album jedweden Bullshit weglässt.

Von Joachim Hentschel

Es begab sich nämlich zu der Zeit, als Harold Macmillan Premierminister des Vereinigten Königreichs war, dass sich ein paar Jungmänner aus Liverpool auf die Reise nach Hamburg machten, um sich vom bösen deutschen Nachkriegspublikum schleifen und reifen zu lassen. Nachdem sie die Herzen aller Zigarettenmädchen und Seemänner gebrochen und einen absolut aufregenden Haarschnitt entdeckt hatten, kehrten sie zurück nach England. Zogen sich Anzüge an. Landeten einen Hit. Dann noch einen. Und so weiter. Kreischende Massen in den USA, Orden der Königin, LSD, Indien, Bärte, Yoko Ono., Apple-Firma, Pleite, Konzert auf dem Dach, Ende.

Und wenn die Beatles nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, wobei, Moment, zwei sind wirklich schon tot, einer ist nicht ganz so wichtig, bleibt also: Paul McCartney. Der ist noch da und erfüllt damit heute, rein technisch gesehen, als Einziger die uralte Verheißung, dass der Geist der Beatles nie sterben wird.

Paul McCartney hat jetzt, mit 78, wieder ein Album gemacht. Es heißt "McCartney III", obwohl es sein ungefähr drei- oder vierundzwanzigstes seit dem Beatles-Ende ist. Und dass diese Platte richtig, richtig gut geworden ist, überrascht vor allem deshalb, weil McCartneys Darbietungen in den vergangenen Jahren meistens nur in zweiter Linie gut waren und in erster Linie: rührend.

Sein "Carpool Karaoke"-Video zum Beispiel, in dem er 2018 mit dem Celebrity-Animateur James Corden durch die Heimat Liverpool fuhr, in alten Häusern toll von früher erzählte und beim Kneipenkonzert einem Haufen Erwachsener die Knie weich machte. Oder vergangenen April, als er bei der Corona-Show "One World: Together at Home" auftrat, "Lady Madonna" sang und es dem weltweiten Pflegepersonal widmete, im Namen seiner Mutter, der Kriegskrankenschwester Mary, die ihm im Lied "Let It Be" im Traum erschien.

Schon vorher galt McCartney vielen ja als der Niedliche, Herzige. Bei den Beatles war er eindeutig der Bärchenhafteste, später sang er tatsächlich ein paar Lieder für ein Bärchen aus einem Trickfilm. Er machte eine Menge fantastischer Musik, schrieb in den Siebzigern praktisch allein das Regelbuch des stilvollen Softrock, wurde zum angenehm nichtaffigen Elektropop-Pionier. Aber die größten Erfolge hatte er, verdammt, immer mit den schlimmsten Schnulzen: dem Dudelsackmarsch "Mull of Kintyre" oder mit "Ebony and Ivory", einem Duett mit Stevie Wonder, das so klang, als wäre Rassismus ein abgefahrenes Kinderbrettspiel von Fisher Price.

Zuletzt suchte er den Anschluss ans Jetzt. Machte Songs mit Rihanna und Kanye West oder dem Pop-Algorithmiker Ryan Tedder. Und wirkte dabei oft eher wie der Rentner, der mit cremefarbener Weste und Baseballkappe ins Kollegstufenzimmer gejoggt kommt und "Na, Leute, was geht?" ruft.

"Jeder Weg, den wir einschlagen, macht das Weiterreisen schwerer"

"McCartney III" ist nun aber nicht etwa deshalb so gut, weil der König hier wie in goldenen, viel zu alten Zeiten klingen würde (obwohl er es teilweise tut). McCartney schafft es mit den elf Songs endlich wieder, den Bullshit wegzulassen. Sich gut genug im Griff zu behalten, um weder krampfhaft lustig, hip oder rührselig zu sein. Auf die Art stößt er zu einer musikalisch und poetisch so direkten, unverhohlenen Sprache vor, wie man sie lange nicht von ihm gehört hat.

Dabei sind es zum Teil sehr seltsame Songs. "Deep Deep Feeling" zum Beispiel, ein über achtminütiges, tief bekifftes Spätherbst-Mantra mit Klavier und Kanongesang, bei dem McCartney seine buddhistischen Aphorismen so lange wiederholt, bis er am Ende klingt, als habe er kurz die Zähne ins Glas gelegt. Oder "Slidin'", ein aus 25 Gitarren heimgewerkelter Monster-Rock, der erstaunliche Wirkung entwickelt. Man darf ja nicht vergessen, dass McCartney Anfang der Sechziger der Mann war, der den Rock-'n'-Roll-Urschreivater Little Richard vielleicht nicht das Fürchten lehrte, aber ihm mindestens einen zünftigen Schreck einjagte.

"Jeder Weg, den wir einschlagen, macht das Weiterreisen schwerer", singt er im akustischen Bingohallen-Tanzbodenschieber "Women and Wives", der so fatalistisch, wunderschön und im alleredelsten Sinn altersweise klingt, dass es einem dann doch wieder die Kehle zuschnürt. "McCartney III" nahm er im Heimstudio in Sussex auf, als Corona-Eremit ohne Publikum für irgendwelche Hampeleien, allein an allen Instrumenten (daher der Titel, denn zwei ähnliche Alben gab es 1970 und '80).

Und ja, auch dieses Werk steckt jetzt schon als funktionsfähiges Teil mitten in der Beatles-Story: Hamburg, Pepperland, Zebrastreifen - wir werden das alles immer wieder gern erzählen und neu durchspielen, obwohl es im Kern natürlich eine Geschichte von gestern ist, von ganz yesterday. Eine, in der nur die Männer ans Mikrofon durften. In der nie über Cultural Appropriation diskutiert wird, und in deren mündlicher Tradition oft noch immer die japanische Frau als die Böse gilt.

Wahrscheinlich wird es irgendwann eine neue Urszenen-Biografie des Pop geben, sie wird anders verlaufen, andere Hauptfiguren haben. Aber ganz fertig sind wir mit der alten offenbar noch nicht, denn hier, Ladies and Gentlemen, ist Paul McCartney. Der letzte Bürge und Gewährsmann, der im Schlusslied seines grandiosen neuen Albums sogar noch Tipps gibt, wie man die Landwirtschaft für den Winter vorbereitet. Man solle Zäune reparieren und Kornspeicher füllen, singt er da, und plötzlich klingt die Stimme ganz anders. Es ist eine Aufnahme von 1992, man glaubt, den jüngeren McCartney zu sehen, bärenhafter als heute, mit seiner inzwischen verstorbenen Frau Linda. Damals auf dem Gutshof, wie auf einem alten Polaroid.

Okay, und wer will, darf jetzt doch noch weinen.

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