Süddeutsche Zeitung

Oper:Im Krematorium

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Daniel Barenboim ist als Wagner-Dirigent berühmt. Jetzt wagte er sich in Berlin erstmals an Gluck und dessen "Orfeo".

Von Wolfgang Schreiber

Der Komponist Christoph Willibald Gluck ist jener Europäer des 18. Jahrhunderts, der die Barockoper mit ihren endlosen Da-capo-Arien ausgehebelt hat, dank "Orfeo ed Euridice". Der Dirigent Daniel Barenboim ist der Global Player von heute, er kann vielen Musiktraditionen mit perfekter Leichthändigkeit dienen - ein Netzwerker, der gerade sämtliche Bruckner-Symphonien mit seiner Berliner Staatskapelle in Tokio aufgeführt hat. Barenboim dirigiert jetzt zum ersten Mal eine Oper der Vorklassik, Gluck. Und da zu seinen Künstlerfreunden der hochbetagte kalifornische Architekt Frank Gehry zählt, der für die neue Berliner Barenboim-Said-Akademie den "Boulez"-Konzertsaal im ehemaligen Magazingebäude der Staatsoper entworfen hat, ließ sich Gehry auch für ein Bühnenbild an der Staatsoper im Schillertheater wohl nicht allzu lange bitten.

Schon zwei Mal hat der Architekt Bühnenbilder für Opern entworfen - nur jetzt, für "Orfeo ed Euridice" in Berlin, steht auf dem Programmzettel lediglich vermerkt: Bühne "in Kooperation mit Gehry Partners, LLP". Der Meister selbst dürfte nicht allzu viel geliefert haben. Gehrys Handschrift in der Inszenierung von Intendant Jürgen Flimm ist kaum erkennbar, Gehrys Ausdrucksweise dekonstruktivistisch schwankender Collageformen höchstens einen Moment lang schwach auszumachen. Im zweiten Bild des zweiten Akts, nach seiner Hades-Tortur befindet sich Orpheus in Elysium, ziert eine kubistisch infizierte rohe Holzskulptur aus schräg ineinander gesteckten Brettern und Stangen in drastischen Farbtönen die Bühne - ein sinnfreies Kunstobjekt, auf das die mit Sonnenbrillen dekorierten coolen Geister der Unterwelt (Kostüme: Florence von Gerkan) hinaufklettern, um sich zu empfindungsvollen Musik blasiert zu langweilen.

Natürlich halten sich Barenboim und seine relativ schlank besetzte Staatskapelle nicht an Regeln der historisch informierten Aufführungspraxis, sondern spielen die ausdruckshaft innige Musik von "Orfeo ed Euridice", in der italienischen Wiener Urfassung von 1762, nach den Grundsätzen lange geübter symphonischer Tonlage, energisch in durchaus flüssigen Tempi, klangmalerisch mit Akzenten und blendenden Instrumentalsoli versehen. Barenboim, der Mozart-Wagner-Bruckner-Exeget, engagiert sich heftig für Glucks geniale Opernreform der Zukunft und deren schlichte Eindringlichkeit. Und hat für das erlesene Personentrio Orpheus-Euridike-Amor die denkbar besten Sänger zur Verfügung.

Bejun Mehta ist auf der heutigen Opernszene wohl der ideale Orpheus

Jürgen Flimms traumrealistische, psychologisch hellhörige Regie gibt solchen Protagonisten scharfe Konturen, den dramatischen Situationen und Seelenregungen der selig-unseligen Liebenden frappierende Genauigkeit des Aufeinander-Reagierens. Die Spiellust des Paars, der Chorfurien und Höllengeister, kann sich lebhaft entfalten. Bejun Mehta ist auf der heutigen Opernszene wohl der ideale Orpheus, ein Künstler, der die Technik und die Stimmfarben seines Countertenors perfekt ausstellt, der den mythischen Sänger des Liebesschmerzes in all seinem Gefühlschaos vollendet verkörpert. Nicht nur im vokalen Prunkstück der Oper, der weltberühmten Verlust-Klage "Che farò senza Euridice", bietet Mehta, ohne je die strenge melodisch-rhythmische Kontrolle aufzugeben, den tief empfundenen Affekt.

Dem jugendlichen Euridice-Zauber der Anna Prohaska nicht zu verfallen, ist für Orfeo ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sie ihn, nach ihrer Wiedererweckung vom Tode, zuerst verführerisch umgarnt, wie sie sich dann empört, ihn schließlich kampfesentschlossen geradezu zwingt, ihr den verbotenen Blickkontakt doch zu schenken, er endlich haltlos kapituliert - es ist ein grandioser Pas-de-deux zweier verzweifelt aneinandergekettet Liebender.

Die gertenschlanke Anna Prohaska gibt dem lodernden Weib glockenhell, kaum elegisch klagend, ihre Stimme, bis sie von Orfeos tödlichem Blick getroffen auf dem großen Bett dahinsinkt. Dabei stets in Sichtnähe, die Menschen aktivierend, sie beflügelnd: der angriffslustige Amor von Nadine Sierra.

Zur erzählerisch überhöhenden Sinnfälligkeit einer Aufführung, die mit Euridices Bestattung im Krematorium beginnt und für Orfeo in der höllischen Unterwelt Todesqualen zwischen zwei seitlichen Eismauern bereithält, steht der hier dem Stück angehängte traurige Schluss nur scheinbar in Widerspruch. Der Triumph von Liebe und Schönheit muss konterkariert werden: Nachdem Brautpaare in Scharen mit Orfeo und Euridice über die Bühne tollten, steht im Nachspiel Orfeo am Ende verlassen an der Rampe, sinnierend mit dem leeren Geigenkasten des Anfangs - weit hinter ihm die verblassende Euridice. Niemand glaubt mehr an Ehe mit Happy End. Wenigstens Barenboim und Flimm umarmten sich zu den Ovationen enthusiasmiert.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2016
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