Süddeutsche Zeitung

Oper:Intendant gesucht

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Die Staatsoper Unter den Linden braucht einen neuen Chef, und zwar bald. Den zu finden ist aber nicht leicht, denn die großen Häuser müssen sich verändern, wenn sie bestehen wollen.

Von Reinhard J Brembeck

Berlins Staatsoper Unter den Linden sucht einen neuen Intendanten. Denn der alte, Matthias Schulz, wird weiterziehen nach Zürich. Das Opernhaus ist neben dem in München das berühmteste und prestigeträchtigste in Deutschland. Zudem hat es in dem 79-jährigen Musikchef Daniel Barenboim seit 30 Jahren einen Dirigenten an der Spitze, der sehr viel berühmter ist als weltweit seine Kollegen in vergleichbarer Position. Weder der Senkrechtstarter Gustavo Dudamel (Paris) noch Antonio Pappano (London), Yannick Nézet-Séguin (New York), Riccardo Chailly (Mailand), Valery Gergiev (St. Petersburg), noch Philippe Jordan (Wien) sind derart bekannt, auch nicht die hiesigen Kollegen Kent Nagano (Hamburg) oder Vladimir Jurowski (München), ganz zu schweigen von den etwa 80 anderen Opernchefdirigenten in Deutschland. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin an der Lindenoper muss also in erster Linie schon mal mit Daniel Barenboim auskommen.

Bis zum Wechsel in Berlin sind es zwar noch zwei Jahre, aber die Vorläufe im Klassikbetrieb sind lang, deshalb muss bald jemand gefunden werden, die Zeit drängt. Wie üblich werden solche Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt, über Namen lässt sich daher kaum spekulieren. Das Anforderungsprofil eines Opernintendanten aber kann man schon heute klar herstellen, es ist eines, das sich deutlich von dem der vergangenen Jahre unterscheidet. Es beinhaltet neue Management-Skills, veränderte Personalpolitik und beginnende Kämpfe um knapper werdende finanzielle Ressourcen.

Zunächst aber zeigen sich die Anforderungen an der Arbeit mit Dirigenten, Sängerinnen, Regisseurinnen. Da etwa an die Linie von Barenboim anzuknüpfen, der oft wichtige und kontroverse Opernregisseure an seinem Haus arbeiten ließ, wird für den Neuen oder die Neue in Berlin schon mal schwierig sein. Allein weil viele Opernintendanten, noch immer meist Männer, einen ähnlichen Geschmack zu haben scheinen. Regisseure wie Kirill Serebrennikow, Simon Stone, Dmitri Tcherniakov, Andrea Breth, Christoph Marthaler, Romeo Castellucci, Claus Guth oder Christof Loy werden überall verpflichtet. Das sind alles Regisseurinnen und Regisseure, die die in der Regel uralten Repertoirestücke radikal in moderne Lebenswelten versetzen. Auf historische Kostüme verfällt keiner von ihnen, allenfalls in ironischer Absicht.

Oper heute muss dringend darlegen, dass sie keine Elite-Veranstaltung ist

Gegenüber diesen fantastisch aktuellen Regieübermalungen beharren Dirigenten und Sänger auf handwerklicher Akkuratesse. Während es in der Regie ins Auge sticht, dass da das Heute verhandelt wird, ist das in der Musik nicht so offensichtlich, aber gleichwohl der Fall. Nicht einmal Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann brillieren noch durch Diventum und Erhabenheitsgenialität. Dirigenten und Sänger gerieren sich heute mit Vorliebe als Alltagsmenschen, die einem Beruf nachgehen. Der Hype, den Maria Callas, Herbert von Karajan und zuletzt Edita Gruberova auslösten, gehört der Vergangenheit an. Auch das gilt es für den Nachfolger zu bedenken.

Oper meint seit ihrer Erfindung vor 400 Jahren Theatermacherei mit Musik. Musik wird in der Oper instrumentalisiert, um Menschen via Spiel und Klang zu analysieren, zu verstehen, auszuloten. Diese Grundidee in einer zeitgemäßen Form zu realisieren wird auch in Berlin zentral werden. Der erst seit dieser Spielzeit amtierende Münchner Staatsopernintendant Serge Dorny setzt da gerade die Maßstäbe und zeigt, wie es gehen kann. Er erweitert das Repertoire, ohne auf Standardstücke zu verzichten, er bindet alles an den Alltag, an die Jugend und die Öffnung an, ohne Fantasie, Exzentrik und Musikkulinarik auszugrenzen. Das ist weder spektakulär, exzentrisch noch skandalös. Dorny zielt auf die Mitte einer sich derzeit in die verschiedensten Communities auflösenden Gesellschaft, er versucht, Oper als kleinsten gemeinsamen Nenner aller noch so disparaten Kreise zu definieren. Schließlich wird Oper als eines der teuersten Unternehmungen der öffentlichen Hand von allen Bürgern durch die Steuern bezahlt. Oper heute muss, das ist eine Versicherung für ihren Fortbestand, durch ihre Programmatik darlegen, dass sie für alle und von allen Menschen spricht und eben nicht nur für eine bildungsbürgerliche oder finanziell gut gestellte Elite. An München wird die neue Intendantin, der neue Intendant in Berlin gemessen werden.

Derzeit sind weniger Künstlerintendanten denn Opernmanager gefragt

Kürzlich wurde der Sänger, Manager und Regisseur Rolando Villazón für den Lindenopernposten ins Spiel gebracht, was der aber gleich dementierte. Villazón, einst ein hinreißender, aber wegen Stimmproblemen allzu früh aus dem Geschäft ausgeschiedener Tenor, wäre in puncto Bekanntheit durchaus ein Pendant zu Barenboim. Aber er steht der alten bürgerlichen Glamour-Oper näher als dem modernen Opernmanagement, seine Programme bei der Salzburger Mozartwoche sind deutlich.

Derzeit aber sind überall weniger Künstlerintendanten denn die Opernmanager gefragt, und das ist der nächste Punkt auf dem Anforderungsprofil, da gerade die großen Häuser zunehmend und nicht immer zum Vorteil der Kunst wie mittelständische Unternehmen geführt werden. Das Programmieren, das Zusammenbringen von Stücken, Regisseuren und Musikern, ist zwar noch eine zentrale Tätigkeit, die aber längst nicht mehr allein über Profil und Erfolg eines Hauses entscheidet. Das Einwerben von Drittmitteln, das Erschließen neuer, gern auch junger Operngänger ist unerlässlich.

Im Jahr 2018 erhielten die öffentlichen Theater in Deutschland 2,75 Milliarden Euro an Zuschüssen. Das macht 80 Prozent ihres Etats der Häuser aus, es sind weniger als 0,2 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben,, fast vier Millionen Opernkarten wurden bezuschusst, die Häuser sind damit zu drei Vierteln ausgelastet. Aber wird das so bleiben? In Folge von Corona hat die Stadt München jetzt schon zum zweiten Mal ihren Kulturetat beschnitten, Mannheim seinen Philharmonikern den Zuschuss gestrichen. Auch Opernhäuser befürchten, dass die Zuschüsse demnächst nicht mehr im gewohnten Maße fließen werden. Die Intendanten werden deshalb zunehmend als Bittsteller der Politik und der ihnen unbedingt gnädig gewogenen Öffentlichkeit gegenüber auftreten und gute Ideen entwickeln müssen, warum die Hochkulturspielart Oper nach wie vor zentral für Deutschland ist. Eine Marginalisierung ist nicht ausgeschlossen.

Eine andere Marginalisierung droht außerdem, das beklagen viele Institutionen, weil sich momentan das Verhältnis zwischen den Livekünsten und den traditionellen Medien verändert. Immer weniger der aktuellen Neuproduktionen werden durch Kritiken in Zeitungen abgebildet, die Fernsehanstalten halten sich schon seit Längerem vom Thema Oper fern und haben es in den Kulturkanal Arte abgeschoben. So entgleitet den Häusern ein bisher zentraler Zugang zu einer breiteren und eigentlich dringend gebrauchten Öffentlichkeit. Sie steuern gegen durch CD-Labels, digitale Concerthalls, Printpublikationen und verstärkte Präsenz im Internet und in den Sozialen Netzwerken. Die Opernszene baut sich so eine Parallelwelt jenseits des Medienmainstreams auf. Unklar ist allerdings noch, ob das eine Lösung sein kann, oder ob es im Gegenteil das Verschwinden des Opernbetriebs aus Deutschland befördert. Aber jeder Intendant und jede Intendantin wird diesen Weg gehen müssen, auch die oder der neue in Berlin.

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