Süddeutsche Zeitung

"Nobody" im Kino:Die Rache der Hühnerbrust

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Im Film "Nobody" wird Bob Odenkirk, bekannt als gewissenloses Anwaltswiesel aus "Breaking Bad", zur Killermaschine.

Von Tobias Kniebe

Eine Vorstadtfamilie wird nachts von Einbrechern überfallen, der Vater hat das schwere Golf-Eisen schon zum Gegenangriff erhoben, aber vor dem entscheidenden Schlag scheut er zurück. Nichts Schlimmes passiert. Der Sohn aber hat gegen die vermummten Eindringlinge gekämpft und fühlt sich alleingelassen, die Frau schaut ihren Mann seltsam an. Und dieser - sein Name ist Hutch Mansell - fühlt sich unzulänglich. Mit dieser nicht ganz unrealistischen Situation, die dem Hauptdarsteller Bob Odenkirk tatsächlich einmal fast so passiert ist, beginnt der Film "Nobody".

Odenkirk, der in den gefeierten Fernsehserien "Breaking Bad" und "Better Call Saul" sehr eindrücklich ein gewissenloses Anwaltswiesel namens Saul verkörpert hat, wäre nun wirklich ein guter Protagonist, um das clevere Psychogramm eines solchen männlichen Normalbürgers zu entfalten. Eines Mannes, in dem noch Reste von atavistischer Lust auf den Gegenschlag stecken, dazu uralte Beschützer- und Verteidigerinstinkte, dessen Rationalität und Kenntnis des Strafgesetzbuchs ihm aber unzweifelhaft nahelegen, seine Fäuste ein für allemal in der Tasche zu lassen. Hätte ein spannender Film werden können. Wurde es aber nicht.

Der Autor Derek Kolstad hat nämlich die sehr gemetzelige "John Wick"-Filmreihe erfunden, während der Regisseur Ilya Naishuller ein russischer Filmemacher mit Indierocker-Sensibilitäten (und eigener Band) ist. So richtig los geht es erst in dem Moment, in dem klar wird, dass Hutch früher eine im Staatsdienst ausgebildete Killermaschine von extremer Tödlichkeit war, Codename "Nobody" aka "Der Revisor". Nach diesem Überfall juckt es ihn doch wieder sehr in den Fingern, aller Sehnsucht nach Familie und Vorstadt zum Trotz, jemanden totzuschlagen oder zumindest zum Krüppel.

Kaum macht er das, klappt es auch mit dem ehelichen Sex wieder, selbst sein Sohn gewinnt Respekt vorm Papa. Als psychisches Befreiungsszenario ist das natürlich lachhaft. Auch Odenkirks bisher eher hühnerbrüstige Rechtsverdreher-Persona und sein Alter (fast 60) weisen stark in Richtung nicht ganz freiwilliger Comedy. Vielleicht ist es aber auch wirklich nur komisch gemeint, wenn er sich aus Versehen mit den Falschen anlegt und danach die halbe Russenmafia Amerikas äußert blutig plattmachen muss. Immerhin kann man dem Film keine Prätention vorwerfen. Es geht - simpel, aber sehr effektiv - um eine Art Müllabfuhr fürs Triebleben. Corona-Leugner könnten hier zum Beispiel einen unbewussten Gefühlsstau auflösen, der sie schon lange quält - und sich hinterher verwundert fragen: Weltverschwörung? War da was?

Nobody , USA 2021 - Regie: Ilya Naishuller. Buch: Derek Kolstad. Kamera: Pawel Pogorzelski. Mit Bob Odenkirk, Aleksey Serebryakov, Connie Nielsen. Universal, 92 Minuten.

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