Süddeutsche Zeitung

Nobelpreis:Fortschreitende Selbstvernichtung

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Der Streit um die Zukunft des Literaturnobelpreises geht weiter. Schriftsteller machen sich über die Aussetzung der Auszeichnung lustig, während sich die Nobel-Akademie mit neuen Vorwürfen eindeckt.

Von Thomas Steinfeld

Nach der Entscheidung der Schwedischen Akademie vom vergangenen Freitag, in diesem Jahr keinen Nobelpreis für Literatur zu vergeben, machte sich in Schweden erst einmal Erleichterung breit. Nun sei Zeit, so hieß es allenthalben, die inneren Zerwürfnisse der Akademie auszugleichen, neue Mitglieder zu finden und die Routinen wiederherzustellen.

Der Friede hielt indes nicht lang. Das lag zum einen an den heftigen Reaktionen aus dem Ausland, die überdeutlich werden ließen, dass die Selbstvernichtung der Akademie mit Genugtuung aufgenommen wurde. Warum sich über einen Sexskandal aufregen, fragte etwa der britische Schriftsteller Tim Parks in der New York Times, wenn doch offensichtlich sei, dass diese Auszeichnung auch in der Vergangenheit nie Glaubwürdigkeit besessen habe, geschweige denn noch besitze: "It is nonsense", alles nur ein großer Quatsch.

Zum anderen endete der Friede damit, dass einzelne Mitglieder mit der Selbstvernichtung weitermachten. So bestätigte der Schriftsteller Per Wästberg, ein Mitglied der Akademie, dass es im Umfeld mehrerer Nobelpreisentscheidungen auf Grundlage von Insiderwissen zu illegalen Wetten auf Kandidaten gekommen sei. Ferner nannte er die Lyrikerin Katarina Frostenson, die Namen von Kandidaten verraten haben soll, eine "Lügnerin". Und schließlich berichtete Per Wästberg, die Akademie sei bei Katarina Frostenson vorstellig geworden, sie möge ihren Ehemann von seinen sexuellen Eskapaden abbringen, die zur Belastung für die Akademie geworden waren.

Diese Äußerung widerspricht den wiederholten Versicherungen des Literaturkritikers Horace Engdahl, zwischen 1999 und 2009 Ständiger Sekretär der Akademie, man habe in der Akademie von solchen Übergriffen nichts gewusst. Katarina Frostenson und ihr Ehemann überlegen nun, wie es heißt, Per Wästberg wegen Verleumdung zu verklagen. Die Drohung erweist sich indes bislang als leer.

Überhaupt herrscht nun Ratlosigkeit, wie es mit der Schwedischen Akademie weitergehen soll. Die zehn verbliebenen Mitglieder können, weil ihnen das notwendige Quorum von zwei Dritteln fehlt, keine neuen Mitglieder mehr bestimmen. Zudem wäre es zumindest zweifelhaft, ob sie überhaupt Kandidaten fänden, die noch in ihr Gremium eintreten wollten. Wahrscheinlich ist deshalb, dass es zur Einsetzung einer unabhängigen Kommission kommen wird, deren Aufgabe es sein wird, die Akademie von Grund auf zu erneuern.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2018
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