Süddeutsche Zeitung

Neuer Bildband über Pin-ups:Mädchen in die Kasernen!

Lesezeit: 3 min

Sie sind sexy und unschuldig zugleich. Sie sind Werbe-Ikonen und Männerphantasien: Im Amerika des vergangenen Jahrhunderts gehörten die frivolen Pin-ups zum Alltag. Kunst sind die Illustrationen trotzdem, wie jetzt ein neuer Bildband zeigt.

Meike Mai

Das leichtbekleidete Mädchen hat eine Panne. Sein blauer Cadillac steht mit einem Platten am Wegesrand. Just in der Sekunde, als der Mann von Reparatur-Service kommt, hebt eine Windböe sein Kleidchen - und lässt ein paar Strapse aufblitzen.

Wer bei dieser Szene an Kunst denkt, der muss den neuen Bildband The Great American Pin-Up nicht mehr lesen. Der weiß bereits, dass die frivolen Illustrationen längst ein Teil unserer - und besonders der amerikanischen - Kunstgeschichte sind. Wer das alles nicht weiß, dem sei der 280-seitige Band der Autoren Charles G. Martignette und Louis K. Meisel mit mehr als 500 rotwangigen Busenwundern empfohlen. Denn The Great American Pin-Up zeigt nicht nur "Misses in Distress", sondern gibt Einblick in das Phänomen Pin-up, das Männerphantasie war und ist, Spinde in Werkstätten oder Kasernen zierte und ziert.

Das Phänomen begann mit der Blüte der Illustrierten in der neuen Welt. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 20. hatten die wenigsten Amerikaner Zeit oder Geld für Museumsbesuche. Die einzige Kunst, die ihnen regelmäßig begegnete, waren die Illustrationen in den Zeitschriften.

Dabei wurden anfangs nicht unbedingt nur leichtbekleidete Mädchen gemalt. Auch Männer oder Kinder und besonders Hollywoodstars wurden für die Magazine gezeichnet, als Fotos noch keine Cover zierten. Ihre kokette Erotik erhielten die Bilder erst nach und nach.

Pin-up kommt vom englischen Wort Anheften. Und genau dafür waren die heraustrennbaren Innen-Poster der Magazine gemacht. Solche sogenannten Centerfolds brachte das Magazin Life 1880 heraus.

Eines der ersten berühmtem Pin-up-Girls schuf ein Künstler aus Boston 1887 zu Beginn seiner Karriere: Charles Dana Gibson (1867-1944) erfand das legendäre "Gibson Girl". Die tuschegezeichnete Mademoiselle in Unterkleid mit hochgesteckten Haaren hatte zwischenzeitlich einen Fanclub mit mehreren Millionen Mitgliedern. Übrigens genauso viele Frauen wie Männer, da das "Gibson Girl" als selbstbewusst, unabhängig und willensstark galt.

Busenwunder für die Brausewerbung

Aus heutiger Sicht war sie freilich noch kein Pin-up. Die folgten erst später mit dem "Petty Girl" in den späten dreißiger Jahren und weiteren Girls, die Playboy, True oder Esquire verbreiteten. Doch was genau ist dann überhaupt ein Pin-up? Die Antwort des Autorenduos lautet: "Ein Pin-Up ist ein Ganzfigurenbild mit einem erzählerischen Element. Auf einem Pin-up-Bild trägt die Frau ein figurbetontes Kleidungsstück: entweder eines, in dem sie sich außer Haus zeigen könnte, zum Beispiel einen Badeanzug, einen Strandanzug oder ein knappes Kleidchen; oder sie trägt provokant Intimes, wie zum Beispiel Dessous oder gar ein Negligé. Es gibt auch nackte Pin-ups - aber die sind die Ausnahme."

Schließlich machten Pin-ups nicht nur in Zeitschriften Karriere. Ihre Bilder wurden als Kalender und Sammelkarten verkauft, sie hingen als sogenannte Hangers gut sichtbar in Werkstätten und stillten gerade in Kriegszeiten Sehnsüchte. Kein Wunder, dass die zweite Blütezeit der Pin-ups in den amerikanischen Kriegsjahren 1942 bis 1945 kam. Die koketten Damen reisten mit den Soldaten um die Welt. Teilweise wurden sie gar auf die "Nase" von Kampfflugzeugen gemalt und erlangten hier als sogenannte Nose Art Berühmtheit.

Die Motive entsprachen Männerphantasien. Die Mädchen sahen genauso aus, wie sich Soldaten und Kriegsheimkehrer ihre Liebste vorstellten: sexy aber gleichzeitig keusch. Und dabei uramerikanisch. Mit wilden Locken, strahlendem Teint, straffen Schenkeln, strahlend weißen Zähnen und knappen Outfits. Gezeigt wurden sie in Szenen, die zufällig sexy waren. Wie eben jene Windböe, die ein Automechaniker beobachtet.

Was will man in der heutigen Zeit zu so viel Unschuld in der Erotik sagen? Vielleicht, dass die Pin-ups Spiegel einer längst vergangenen Zeit sind. Dass die Zeichner in den meisten Fällen eine hervorragende Ausbildung genossen haben - und ihre Kunstwerke trotzdem damals nicht in berühmten Museen hingen. Vielmehr waren und sind Pin-ups Alltagskultur. Die Busenwunder warben für Brause und Seife, sie zierten Kalender und Kartenspiele. Bis heute. Aber heute schaffen sie es auch in einen Kunstband.

CHARLES G. MARTIGNETTE, LOUIS K. MEISEL: The Great American Pin-Up. Taschen Verlag, 14,99 Euro

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