Süddeutsche Zeitung

Netz-Depeschen:Der Apfel fällt weit vom Stamm

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Warum Apples iPad eine Enttäuschung ist und lediglich als Computerersatz für Menschen dient, die keinen Rechner bedienen können.

Johannes Boie

Es ist eine Lektion, die Kinder alljährlich unterm Weihnachtsbaum lernen - je höher die Erwartung, desto größer die Enttäuschung. Da erstere im Vorfeld der Präsentation von Apples neuestem Gerät, dem iPad, ins Unendliche stieg, war die Ernüchterung vorprogrammiert. Vor allem Apple-Fans und Profis können sich mit dem flachen Lese- und Websurfgerät nicht anfreunden. "10 Dinge, die dem iPad fehlen", titelten die Technikkenner bei wired.com.

Ihre Kritik ist verheerend: Ein USB-Anschluss müsse her und der Bildschirm habe kein Breitbildformat, das sich aber derzeit zum Standard entwickle. Für interaktive Webanwendungen, in denen Apple selber eine der Hauptbeschäftigungen von potentiellen Käufern sieht, fehle eine eingebaute Kamera und die Unterstützung für Flash-Objekte. Hinter dem Fachbegriff verbergen sich derzeit noch nahezu alle bewegten, animierten oder komplexen Webseiten-Teile, zum Beispiel die Videos auf dem Internetportal Youtube.

Das iPad markiert darüber hinaus einen Wandel in Apples Produktstrategie. Denn mittlerweile ist klar, als was sich der iPad eigentlich etablieren wird: weniger als eReader, also als digitaler Buchersatz, sondern vielmehr als Computerersatz für Menschen, die keinen Rechner besitzen und ihn auch nicht bedienen könnten. Damit erschließt sich Apple zwar eine gigantische Zielgruppe - vergleichbar mit der Strategie von Nintendo, die mit der bewegungsgesteuerten Spielekonsole Wii Frauen, Familien und die über 40-Jährigen in die Spielewelt katapultierten. Den bisherigen Kern der eigenen Zielgruppe stößt Apple-Boss Steve Jobs aber vor den Kopf.

Während frühere Computer-Hardware zwar für Anfänger und Durchschnittsnutzer intuitiv bedienbar war, waren stets auch Profis und Kreative mit der Technik zufrieden. So wurde der Apfel zum Symbol für kreatives Produzieren. Der iPad aber ist ein Computer mit dem Anspruch eines iPods. Genau wie der beliebte Musikplayer kann man mit dem Gerät vor allem eines: konsumieren. "Nur dazu wurde es entworfen", schreibt der englischsprachige IT-Dienst theregister.co.uk.

Der deutsche Blogger und Webdesignexperte Gerrit van Aaken moniert, dass der iPad zwar gut aussehe, aber das Geschäftsmodell, auf das so viele hofften - der digitale Vertrieb von Zeitungen -, noch immer im Argen liege. Dies sei auch Apples schuld, schreibt von Aaken, schließlich wisse niemand genau, wie der Vertrieb funktionieren solle: "Mich wundert, dass Apple mit dem ,iBook Store' eine fertige Infrastruktur für lineare, nicht-multimediale Bücher am Start hat, jedoch nichts Vergleichbares für Zeitungen und Magazine."

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SZ vom 01.02.2010/juwe
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