Süddeutsche Zeitung

Münchner Volkstheater:Alles ist wirklich, wirklich gut

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Kultverdacht: Bonn Park inszeniert seine fröhliche Highschool-Oper "Gymnasium" als dritte Eröffnungspremiere des neuen Münchner Volkstheaters.

Von Egbert Tholl, München

Wenn man die Nase voll hat von Weltuntergangsszenarien im Theater und Dystopien, dann geht man derzeit am besten zu Bonn Park. Dieser, geboren 1987 in Berlin, ist Autor und Regisseur zugleich, er erfindet mitunter neue Genres, die das Terrain zwischen Sprech- und Musiktheater erkunden und ist in seiner Fröhlichkeit durch nichts zu erschüttern. Vor Kurzem verschnitt er am Deutschen Schauspielhaus Hamburg Schillers "Räuber" mit dem Film "Ocean's Eleven" und ließ den Abend um den Satz "Alles wird gut" kreisen. Nun inszenierte er sein eigenes Stück "Gymnasium" als dritte Eröffnungspremiere des neuen Münchner Volkstheaters, und es endet mit den zwangsoptimistischen Worten des Schuldirektors: "Ich glaube, wenn wir nur so weitermachen, wenn wir da dran bleiben, dann wird ganz bestimmt, ganz sicher, wirklich alles alles gut, dann wird alles schlimm, ja, dann glaube ich, dass alles gut werden wird."

"Äh" - "Hä?"

Was das Volkstheater angeht, ist ja ohnehin schon alles gut. Der Neubau wird bejubelt, und zur Eröffnung prunkt das Haus mit einer enormen künstlerischen Bandbreite. Erst präsentierte Hausherr Christian Stückl Marlowes "Edward II", tags darauf folgte Jessica Glauses Uraufführung "Unser Fleisch, unser Blut", eine theatralisch gewitzt aufbereitete Recherche im benachbarten Schlachthofviertel ( beides SZ vom 18. Oktober), nun also Bonn Park mit einer, wie er es nennt, "Highschool-Oper", was zwar keine Oper ist, dafür aber eine herrlich aberwitzige Abfolge von Gesängen in jugendlicher Alltagssprache. Mit viel "Äh" und "Hä?", "Hi" und "Okay", mit sprachlichen Stolperern und philosophischen Verstiegenheiten, die einem halt so einfallen, wenn man jung ist; mal wird chorisch gesungen, mit Unterstützung des unerschütterlichen Landesjugendchors, mal solistisch, und zwei Mal gibt es richtige Ensembleszenen, die wirklich opernhaft sind, Szenen, in denen Sologesang und Chor gegeneinander und untereinander hinweg laufen

Park ließ sich dafür von Ben Roessler eine freundlich pastose Musik schreiben, im Graben - ja, das neue Volkstheater hat einen Orchestergraben - sitzen Akademistinnen und Akademisten der Münchner Philharmonker und basteln unter Sonja Lachmayrs gut gelaunter Leitung hübsche Klangwolken, die fast so plüschig sind wie die Wattebäusche, die Jana Wassong in den Bühnenhimmel gehängt hat. Überhaupt herrscht hier eine eigenwillige Sanftmut, die das gar nicht so Sanfte, was Park hier erzählt, weich umspült.

Davon darf man sich nicht trügen lassen, denn Parks Welt ist voller Abgründe. Die Wolken stammen aus dem Vulkan, dessen Asche die Welt verdunkelt. Und so landet man doch wieder bei einer Dystopie, aber einer, die nicht dystopisch erzählt wird, sich nicht so anfühlt, sondern eher wie eine pastellfarbene Version von Lars von Triers "Melancholia" wirkt. Das ist das durchgeknallt Fiese an Parks Geschichte. Er plünderte einige Highschool-Filme und baute deren Motive und ikonische Popsongs zu einer trefflichen, im Mittelteil ein wenig verwaschenen Satire zusammen und ließ das Ensemble von Leonie Falke als ulkige Stereotypen ausstaffieren. Das hat alles einen eigenwilligen, pointierten Witz, eine kluge Souveränität. Die Handlung ist gleichzeitig sowohl im Mittelalter (Galileo Galilei) als auch im Heute angesiedelt, entsprechend unterschiedlich ist der Erkenntnisstand der Akteure, die zum Teil einen Hexenwahn entwickeln. Der Ort ist eine Freiluft-Highschool am Rande eines Vulkans, der hübsch raucht und Goldglitter spuckt, aber im Grunde ein Menetekel ist.

Wie immer in diesem Genre kommt eine Neue in die Schule, verdruckst und schüchtern, sie muss sich entscheiden, zu welcher Gruppe sie gehören will, den Nerds, den Sportlern oder den bösen Mädchen, deren Anführerin als schulinterne Influencerin jenes Wissen gepachtet hat, das nichts als Meinung ist, und dieses an die Wand des Toilettenhäusls schmiert. Dort wird dann jede Meinung zur Wahrheit, wenn sie nur von der Mehrheit geglaubt wird - das Klo als Social Media. Sehr gut. Dann gibt es noch ein Gothic-Pärchen, dessen fluid männlicher Teil, Joshphilius Papadopoulos, mit der ihn umgebenden Dummheit nicht zurechtkommt, und eine Vulkanforscherin, die nach Erkenntnis strebt.

Bevor der Abschlussball begangen werden kann, müssen diese beiden, deren Drang nach Wahrheit die anderen beunruhigt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, dann sind sie weg und nichts stört mehr den Wohlfühleinklang der Dummen. Da drängt ein Ingrimm durch die Ironie nach oben. Wird alles gut? Nein, aber die beiden vermeintlichen Störenfriede sind es. Vincent Sauer ist ein nicht nur körperlich faszinierender Spinnenmensch, Lioba Kippe eine umwerfende Verheißung mit einem untrüglichen Bühneninstinkt und fabelhaftem Gesang. Dieser kunterbunte Abend wird ein Kult werden, gegen den der Film "American Pie" ein Ladenhüter war.

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