Süddeutsche Zeitung

"Mikro und Sprit" im Kino:Warnung vor dem Erwachsenwerden

Lesezeit: 3 min

Im Roadmovie "Mikro und Sprit" gehen zwei 14-Jährige im selbstgebastelten Wohnmobil auf Tour. Ihr iPhone fällt bei erster Gelegenheit in ein Erdloch.

Filmkritik von Anke Sterneborg

Zwanzig Kilometer pro Stunde hört sich nicht sonderlich rasant an. Doch selbst dieses niedrige Tempo kann sehr abenteuerlich und wagemutig sein, wenn es von zwei vierzehnjährigen Jungs im selbstgezimmerten Wohnmobil vorgelegt wird.

Statt mit den Eltern zu verreisen, die Jugendliche in diesem Alter naturgemäß ziemlich unmöglich finden, nehmen Daniel und Théo ihre Sommerferien beherzt in die eigenen Bastler-Hände. Der eine wird wegen seiner schmalen Statur Mikro genannt, der andere Sprit - wegen seiner Liebe zu allem, was einen Motor hat. Gemeinsam sammeln sie allerlei Schrottteile und bauen daraus eine Kettcar-Karosserie. Mit dem Motor eines Rasenmähers setzen sie das Gefährt in Bewegung und tarnen es noch mit Holzverschlag, Wellblechdach, Fensterläden und Geranienkästen - und fertig ist das Wohnmobil.

"Mikro und Sprit" ist ein Film des versponnenen französischen Kinopoeten Michel Gondry. Dessen Helden haben sich schon immer eine kindliche Unschuld bewahrt, in "Vergiss mein nicht!" oder "Der Schaum der Tage". Doch nun sind es zum ersten Mal tatsächlich Kinder, die sich ihren verträumten Reim aufs Leben machen, auf die Freiheit und die Unabhängigkeit.

Nach der Romanverfilmung "Der Schaum der Tage" war es seine damalige Hauptdarstellerin Audrey Tautou, die ihn dazu anstiftete, mit dem nächsten Projekt statt fremder Träume wieder die eigenen zu verfilmen. Dafür bekam sie jetzt die eher undankbare Aufgabe, Mikros Mutter zu spielen, die ziemlich überfürsorglich und humorlos aussieht. Dass sie hier so gar nichts mehr von ihrer legendären "Amélie" hat, lässt sich durchaus als Warnung vor dem Erwachsenwerden verstehen.

Mikro ist wohl ziemlich nah dran an Gondrys jugendlichem Alter Ego

Dagegen versuchen sich Mikro und Sprit mit experimenteller Lust am Heranwachsen. Sie bauen ihr Patchwork-Spielzeug aus allem zusammen, was sie in der Garage, auf der Straße, im Müll oder auf dem Schrottplatz finden. Und dann düsen die beiden Jungs in ihrem Wohnmobil in die große Freiheit der französischen Landschaft um Versailles herum - wo Regisseur Gondry aufgewachsen ist.

Während die Figur Sprit sich aus den Eigenschaften verschiedener ehemaliger Klassenkameraden zusammensetzt, ist Mikro wohl ziemlich nah dran an Gondrys jugendlichem Alter Ego. Wie dieser wurde auch er in der Schule immer wieder für ein Mädchen gehalten und war ebenfalls ein leidenschaftlicher Zeichner.

Gespielt werden die beiden von den Newcomern Ange Dargent und Théophile Baquet. Immer wenn die Gefahr droht, ohne Führerschein mit einem unzulässigen Gefährt auf der Straße erwischt zu werden, halten sie an, klappen Bretterverschläge über die Räder und den Geranienkasten vors Fenster. Der entwaffnende Charme dieses seltsamen Popup-Objekts bezaubert selbst die Polizisten, in deren Revier es auftaucht.

Die Popkultur ihrer Generation ist den Jungs komplett fremd

Statt der skurrilen Angelegenheit bürokratisch auf den Grund zu gehen, erliegen sie ihrem Zauber, den sie schnell noch mit einem Selfie dokumentieren. Nur einmal parken die Jungs ihr Gefährt zu nah an einer improvisierten Roma-Siedlung, weshalb es in böser Ironie des Schicksals gleich mit angezündet wird.

So verwirklicht sich Gondry, für den das Kino generell eine Traummaschine ist, mit über fünfzig Jahren seine Jugendfantasie von der großen Ferienfreiheit. Das heißt auch, dass diese beiden Jungs erfrischend analog ans Werk gehen, völlig unverdorben von Digitalfantasien. Mitten in der modernen Realität zelebrieren die beiden zusammen mit ihrem Regisseur den nostalgischen Zauber vergangener Zeiten, in denen Kinder weder ausgeklügelte Lego-Bausätze noch Pixelschwärme brauchten, um ihre Fantasien auszuleben.

Das iPhone, das ihnen Mikros fürsorglicher Bruder mit auf die heimliche Reise gibt, fällt bei erster Gelegenheit ins Erdloch: "iPhone, das ist nichts für uns", kommentiert Mikro lapidar und greift zur Landkarte anstatt zur Navigations-App. Die Popkultur ihrer Generation ist ihnen so fremd, dass ein Shakira-Poster auch mal zum schlafraubenden Monster wird.

In Zeiten in denen die Kindheit mit Smartphones und Computern durchdigitalisiert ist, können solche Sommerferienfilme, in denen die Kindheit noch ein großes Coming-of- Age-Abenteuer ist, schon ein wenig wehmütig stimmen. Also weg mit der Elektronik. Auf zum nächsten Schrottplatz!

Microbe et Gasoil , Frankreich 2015 - Regie und Buch: Michel Gondry. Kamera: Laurent Brunet. Musik: Jean-Claude Vannier. Mit: Ange Argent, Théophile Baquet, Audrey Tautou, Diane Besnier, Vincent Lamoureux, Agathe Peigney, Douglas Brosset. Studiocanal, 104 Minuten.

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SZ vom 08.06.2016
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