Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Trittbretts Rache

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Ist der amerikanische Film-Klassiker "Atemlos" (1983) womöglich doch nur ein fades Plagiat von Godards "Außer Atem" (1960)? Nicht ganz. Wer will, kann vergleichen: Nun erscheinen die beiden als Blue-Ray-Doppelpack.

Von Gerhard Matzig

Der Google-Algorithmus ist der Schweiz ähnlich: gebirgig, uneinsehbar und angeblich neutral. Wer also "Außer Atem" mit der Suchmaschine ansteuert, jenen legendären Godard-Film aus dem Jahr 1960, der landet auf Anhieb bei Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg sowie im französischen Kino der Nouvelle Vague. So weit: klar.

Wer aber das amerikanische Remake "Atemlos" von 1983 im Netz sucht, der findet als Erstes nicht Richard Gere, Valérie Kaprisky und das Hollywood-Kino von Jim McBride - sondern der begegnet unfreiwillig Helene Fischer und ihrem Schlager "Atemlos durch die Nacht". Bekanntlich reimt sich in diesem Lied das Tabu auf das Tattoo, und es kommen auch ganz viele entzückende "Oho" vor. Es gibt also doch einen gerechten Gott. Und ja, er ist Cineast.

In der Gemeinde der Filmfreunde könnte man die algorithmisch, ja atemlos hergestellte Nähe einer Plastikpop-Schnulze der Musik zu einer vermeintlich solchen des Films als späte Genugtuung erfahren - gilt doch vielen Kritikern das 1983er-Remake als Frevel. Als Überfall des amerikanischen Popcorn-Kinos auf die französische Kino-Kultur. Über Richard Gere in der Rolle des Kleinganoven Jesse schrieb beispielsweise Hellmuth Karasek 1983: "Dass schöne Menschen in gepflegter Umgebung sich heftig suchen und heftig umarmen, macht noch keinen Kultfilm."

Auch sonst war die Kritik meist ungnädig. Die Regie Godards galt als unerreichtes Original, Kultkino halt. Die Arbeit McBrides dagegen missfiel als schlichte Fälschung - Trittbrettkino halt. Belmondo (als Kleinkrimineller Michel) galt ihnen als heroisch - Gere dagegen, selbst für die modisch eher seltsamen Achtzigerjahre sehr, sehr seltsam gewandet, aber dafür ein Fan des Comics vom Silbernen Surfer, wurde als kindisch verrissen. Entsprechend nahm man Jean Seberg an Belmondos Seite als geheimnisvoll und schön wahr, während Valérie Kaprisky an Geres Seite nur "hübsch" war. Hübsch ist die kleine Schwester von nett, die wiederum die kleine Schwester von Dings ist. Kurz: "Atemlos" gilt bis heute überwiegend als Fiasko, weshalb "Außer Atem" auch dadurch noch immer größer zu werden scheint. Nun aber kann man die beiden Filme im direkten Duell in einem Schuber bestaunen. Und zwar, Obacht, Freunde der gepflegten februaresken Schwarz-Weiß-Grieseligkeit, "in bestechender HD-Qualität". Um mit Helene Fischer zu sprechen: oho.

Wobei sich zeigt, dass das Original immer noch unerreicht ist, ein Kino, das sich alle zwei Minuten neu zu erfinden scheint, radikal, kraftvoll, hart, suggestiv - und so schön wie die schönste Frau der Welt. Das ist, wie jeder weiß, Jean Seberg. Das Problem (oder auch nicht) ist nur: Das oberflächliche Trittbrettkino des Remakes ist im Grunde ein wunderbarer Film. Weicher natürlich, bunter, erwartbarer - und doch so tief, wie es sich für die Oberfläche gehört. Gere ist großartig. Und die Regie schenkt der Fälschung soviel Originalität, dass man sich die beiden Schluss-Szenen, sie könnten unterschiedlicher nicht sein, noch einmal ganz genau anschauen sollte. Denn als erwartbar zeigt sich - und das ist nicht dem Schauspiel, sondern der Regie geschuldet - Belmondo. Unkonventionell dagegen: Gere. Vor allem am Ende, in der Auflösung, zeigt sich, dass der Trittbrett-Film eine ganz eigene, eigenwillige und verblüffend anregende Architektur besitzt. Er ist die raffinierte Fälschung einer Fälschung und muss sich nicht verstecken. Denn er ehrt - gerade indem er ihm widerspricht - Godard, der seinerseits den amerikanischen Film noir mit den Mitteln Europas ehrte.

Natürlich möchte man sich trotzdem lieber in Paris und in den Sechzigerjahren von einer Frau verraten lassen als im Los Angeles der Achtzigerjahre. Und natürlich sähe man dabei lieber aus wie Belmondo mit Hut als wie Gere mit karierter Hose. Andererseits muss sich Belmondo von Jean Seberg sagen lassen: "Ich weiß nicht, ob ich unglücklich bin, weil ich mich nicht frei fühle, oder ob ich mich nicht frei fühle, weil ich unglücklich bin." An dieser Stelle würde man den Existenzialismus dann doch sofort gegen einen Silver-Surfer-Comic tauschen. Nur Seberg würde man für immer behalten.

"Atemlos" und "Außer Atem" erscheinen am 12. Februar als Blu-Ray-Doppelpack (21,99 Euro).

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Quelle:
SZ vom 08.02.2016
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