Süddeutsche Zeitung

Kunstausstellung:Eine Reise ins Dunkel der eigenen Vergangenheit

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"Die schwarzen Jahre - Geschichten einer Sammlung": In Berlin zeigt die Neue Nationalgalerie Kunst aus der NS-Zeit.

Von Rudolf Neumaier

Auf dem Feld der Malerei bereitete den Nationalsozialisten mitunter ihr eigenes Kunstverständnis Skrupel. Bei Edvard Munchs "Melancholie" aus den Jahren 1906/07 etwa hatten sie Angst, sie könnten sich international als Tölpel blamieren, wenn sie das Werk aus der Berliner Nationalgalerie verdammen würden. Dass die Deutschen einen eigenwilligen Kunstsinn entwickelten, fiel im übrigen Europa natürlich auf. Goebbels hatte Munch im Dezember 1933 noch als "großen nordischen Künstler" gefeiert. Nach einem Machtwort des Führers aber fanden die Nazis expressionistische Kunst plötzlich nicht mehr vorzeigbar. Sie erklärten Munch zum "pathologischen Problematiker" - und verkauften die "Melancholie" für 3750 Reichsmark diskret nach Oslo. Mit Devisen ließ sich jeder Skrupel tilgen.

Gab es in der Geschichte je eine größere Kunstschändung als die der Deutschen in den Jahren 1933 bis 1945? Die Berliner Nationalgalerie könnte die Ausstellung über ihre Sammlung in dieser Zeit nicht treffender benennen als mit dem Titel "Die schwarzen Jahre". Sechzig Werke zeigt sie im Museum Hamburger Bahnhof. Werke, die über ihren kunstgeschichtlichen Wert hinaus vor allem historisch bedeutend sind. Jedes Werk ist auch ein Hinweis auf die Geschichte des Nationalsozialismus. Hinter den Bildern und Skulpturen stehen Schicksale von Künstlern und von Kunstwerken, die der Kurator Dieter Scholz für diesen ebenso eindrucksvollen wie lehrreichen Geschichtsexkurs recherchiert und zusammengestellt hat. Er handelt von offener Anpassung und heimlichem Widerstand auf der Seite der bildenden Künstler - und von brutaler Intransigenz sowie einer gewissen Verlegenheit gerade in den ersten Jahren auf der Seite der braunen Machthaber.

Bei Goebbels hingen Aquarelle von Emil Nolde. Der Führer tobte

Zeitgenössisches stand bei den Nazis unter Verdacht. Allerdings differierten anfangs auch auf höchster Ebene die Meinungen darüber, was als nordisch und unbedenklich zu beurteilen sei und was als "entartet" zu gelten habe. Joseph Goebbels, der Propagandaminister, war der Moderne gegenüber aufgeschlossener als Hitlers Oberideologe Alfred Rosenberg, der Gründer des Kampfbundes Deutsche Kultur - und als Hitler selbst.

Der Architekt Albert Speer kompromittierte Goebbels später genüsslich mit einer Episode über den unterschiedlichen Kunstgeschmack von Führer und Minister: Als Hitler seinen Minister privat besuchte, habe er Aquarelle Emil Noldes an den Wänden vorgefunden und sich darüber mit den Worten "Die Bilder müssen augenblicklich weg, sie sind einfach unmöglich" heftig echauffiert. Speer mag bei dieser Geschichte übertrieben haben - sie sagt dennoch einiges über die Meinungsverschiedenheiten der Nazis.

Emil Nolde fiel durch bei ihnen, obwohl er wie so viele andere Künstler dem Nationalsozialismus seine Gefolgschaft erklärt hatte. Im Jahr 1934 unterschrieb er den "Aufruf der Kulturschaffenden", bei dem er sich im Völkischen Beobachter in die Reihe der Hitler-treuen Künstler stellte. Noldes Ölgemälde "Die Sünderin (Christus und die Sünderin)" aus dem Jahr 1926 wurde aus der Nationalgalerie entfernt und in der Wanderausstellung "Entartete Kunst" auf Reise geschickt, ehe es als "international verwertbar" eingestuft und in der Schweiz versteigert wurde. Der erzielte Auktionspreis von 1800 Schweizer Franken enttäuschte Nolde. Deutsche Maler würden unter Wert gekauft, während "die Lieblinge des internationalen Judentums" vielfach höhere Summen erreichten. Wie Edvard Munchs "Melancholie" und viele andere Werke dieser sammlungsgeschichtlichen Ausstellung erwarb die Nationalgalerie "Die Sünderin" Jahrzehnte später wieder. Zu jedem dieser Werke liefern Dieter Scholz und sein Team detailreiche Episoden aus ihrer Provenienzforschung.

Franz Radziwill wurde als Opportunist verachtet. Man nannte ihn "Naziwill"

Im Mai 1936 wurden im Kronprinzenpalais erstmals Kunstwerke verbrannt. Museumsdirektor Eberhard Hanfstaengl war für seine Sammlungspolitik zuvor im SS-Kampfblatt angefeindet worden: "Es ist zweifellos nicht im Sinne des Führers gehandelt, wenn man zwar die grotesken Schweinereien der Systemzeit ausmerzt, aber die sogenannten ,Künstlerpersönlichkeiten' ins neue Reich hinüberzuschmuggeln versucht, indem man irgendwelche Belanglosigkeiten von ihnen für nationalgaleriefähig erklärt." Hanfstaengl büßte sein Amt ein, weil er aus dem Bestand seines Hauses keine Werke für die Ausstellung "Entartete Kunst" preisgab.

Mehr als 500 Werke moderner Künstler entfernten die Nazis aus der Nationalgalerie. Mit 115 Kunstwerken reisten Hitlers Kunstschergen im Juli 1937 nach München, wo die Ausstellung "Entartete Kunst" eröffnet wurde. Zwei der ausgewählten Skulpturen stammten bizarrerweise von Rudolf Belling. Das Bizarre daran war, dass vom gleichen Künstler nur wenige Meter weiter in der "Großen Deutschen Kunstausstellung" eine bronzene Dreiviertelfigur des Boxers Max Schmeling präsentiert wurde. In der einen Ausstellung wurden verfemte Künstler vorgeführt - in der anderen Exempel für die, wie Hitler sagte, "wahre und ewige deutsche Kunst" statuiert. Und hier wie da war Belling zu sehen. Ein Fauxpas? Die Presse durfte nicht darüber berichten. Doch aufmerksame Besucher fragten zu Hunderten nach der Bewandtnis dieses Widerspruchs. Ergebnis: Schmeling blieb, die beiden anderen Skulpturen wurden aus der "Entarteten Kunst" genommen. Auch sie wurden als "international verwertbar" eingestuft und überdauerten das Dritte Reich. Belling lebte zu dieser Zeit schon im Exil.

Andere Künstler tauchten in ihren Ateliers unter und malten wie Otto Dix heimlich - oder sie arrangierten sich. In der Ausstellung hängen in Blickweite benachbart Erwin Hahs' "Großes Requiem" (1944/45) und Franz Radziwills "Flandern", entstanden 1940, umgemalt 1950. Bei Hahs machte der Kurator Dieter Scholz eine atemberaubende Entdeckung, als er das Bild mit Röntgenstrahlen durchleuchten ließ. Anhaltspunkte dafür hatten Quellen ergeben, wonach Hahs den Auftrag hatte, ein Hitler-Porträt für ein Gymnasium zu malen. Er stand längst auf der Liste der Gestapo. Also ließ er sich die Gelegenheit nicht entgehen - eine Leinwand in diesen Ausmaßen von fast zwei auf anderthalb Metern war für einen wie ihn ja sonst kaum zu bekommen. Sein Führer hing aber nur wenige Stunden in der Schulaula. Hahs' Hitler wirkte plump, glanzlos, unheilvoll. Der Künstler bekam sein Werk zurück - und hatte nun eine Leinwand, auf der er malen konnte, wonach ihm war: das "Große Requiem". Beim Durchleuchten tauchte unter der Farbschicht Hitler wieder auf. Das Röntgenbild und daneben das "Große Requiem" geben nach Scholz' Recherchecoup ein Gesamtkunstwerk ab.

Franz Radziwill bekam einen Szenenamen: "Naziwill". Einige seiner Kollegen verachteten ihn für seinen Opportunismus und für den Verrat an seiner eigenen Begabung. Sein Ölgemälde "Flandern" erwarb die Nationalgalerie wohl nicht zuletzt als Dokument von außergewöhnlicher künstlerischer Anpassungsfähigkeit. Radziwill schuf die erste Fassung, nachdem er im Mai 1940 den Überfall Deutschlands auf Belgien als Soldat miterlebt hatte. Diese Version war noch kriegspropagandatauglich. Als Radziwill aber die Felle der Wehrmacht davonschwimmen sah, übermalte er das Bild immer mehr: Er teilte den Himmel und pflanzte herabstürzende Engel hinein. "Flandern" wurde surreal.

Ein Fähnchen wie Radziwill hielten die Nazis leicht in Schach. Aber einen Weltkünstler wie Munch und die Figur eines Weltboxers wie Schmeling ließen sich nicht einfach als Verfallskunst deklarieren. Und noch viel weniger Marlene Dietrich. Popularität rettete Künstler, aber auch Kunstwerke. Die Dietrich ließ Anfang der Dreißigerjahre von Ernesto de Fiori Porträtbüsten anfertigen, in Berlin saß sie Modell. De Fiori wuchs über sich hinaus bei dieser Arbeit, doch die Nationalsozialisten knallten den Stempel "entartet" drauf. Ein Glück, dass eine der Büsten überdauerte in der Nationalgalerie. Es ist das Bildnis einer Göttin. Oder zumindest einer Heiligen der Popkultur. Nur Göttinnen und Heilige überleben schwarze Jahre und behalten ihren Glanz.

Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung 1933-1945. Nationalgalerie Berlin, Museum Hamburger Bahnhof. Bis 31. Juli. Katalog 25 Euro.

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SZ vom 18.01.2016
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