Süddeutsche Zeitung

"The Man Who Killed Don Quixote" im Kino:Was, wenn Don Quixote als Einziger klar sieht?

Lesezeit: 3 min

Von Nicolas Freund

Ein kleines Gedankenexperiment: Was wäre, wenn Don Quixote recht hat? Jener durchgeknallte fahrende Ritter also, der Windmühlen für Riesen hält, in jedem heruntergekommenen Gasthof eine stolze Festung und in jeder feisten Magd eine holde Prinzessin erblickt. Über die Geschichte mit den Windmühlen ließe sich streiten, aber jeder Frau und jedem Gastwirt grundsätzlich das Allerbeste zu unterstellen, ist ja keine ganz verkehrte Haltung.

Zugegeben, der Erzähler in "Don Quixote", der Romanvorlage von Miguel de Cervantes, ist eindeutig, was den Geisteszustand seines selbsternannten Ritters angeht, und auch Regisseur Terry Gilliam hat sich in seiner Verfilmung des Stoffes, die nun nach mehr als 20 Jahren Produktionszeit in die Kinos kommt, an dessen Diagnose gehalten: "Der knappe Schlaf und das reichliche Lesen trockneten ihm das Gehirn ein, sodass er den Verstand verlor." Aber bleiben wir kurz dabei: Was, wenn Don Quixote als Einziger die Welt richtig sieht und alle anderen ihren Illusionen erlegen wären?

Wahrscheinlich wäre das der Haltung Terry Gilliams nicht ganz unähnlich, die er bei der jahrzehntelangen Arbeit an diesem Film entwickelt hat. In der Dokumentation "Lost in La Mancha" über die ersten, gescheiterten Dreharbeiten von "The Man Who Killed Don Quixote", blitzt mehr als einmal in seinen Augen der Wahnsinn eines Mannes auf, der in den kugelbäuchigen Schauspielern fiese Riesen und in seinem Hauptdarsteller einen verrückten Ritter sieht, der aber gleichzeitig merkt, dass sich diese Wahrnehmung bei allen andere nicht einstellen möchte. Man kann der Vision beim Scheitern zusehen.

Im fertigen Film geht es, wie in der Wirklichkeit, auch um ein Scheitern des Erzählen

Dem neuen, nun mit einer völlig anderen Besetzung fertiggestellten Film merkt man das an - und interessanterweise ist gerade das seine Stärke. In der Romanvorlage ist auch nicht immer klar, in welcher Beziehung die einzelnen Teile zueinander stehen. Es gibt verschiedene Erzähler und erfundene Herausgeber, die sich teilweise widersprechen. Im zweiten Teil des Romans taucht der erste als Buch auf und wenn man kurz etwas stur denkt, macht das dann nicht die Fiktion des zweiten Teils zur Wirklichkeit des ersten Teils, macht das also die Wirklichkeit zur Fiktion? Man merkt schnell, was den Träumer Gilliam, der schon bei Monty Python Regie führte und Filme wie "Brazil" gedreht hat, an dem Stoff fasziniert haben muss.

So geht es nun in dem fertigen Film, wie in der Wirklichkeit, auch um ein Scheitern des Erzählens. Gilliam hat den Stoff in die Gegenwart verlegt. Der Filmemacher Toby war mal ein idealistischer Filmstudent, der als Abschlussarbeit an der Filmhochschule nichts Geringeres als eine Adaption von "Don Quixote" stemmen wollte. Nun, Jahre später, trägt er weiße Anzüge und dicke Sonnenbrillen und dreht zynisch Werbefilme für asiatische Energiekonzerne. Die Windmühlen sind geblieben, der Rest ist Kapitalismus. Johnny Depp sollte Toby ursprünglich spielen, jetzt stolperte Adam Driver durchs spanische Hinterland.

Zufällig trifft er dort den Hauptdarsteller seines Studentenfilms (Jonathan Pryce) wieder, dem auch das Gehirn eingetrocknet sein muss. Denn er hält sich, wie die Rolle, die er einst spielte, für Don Quixote und schleift Toby als unfreiwilligen Sancho Panza mit in seine Abenteuer und Duelle mit anderen Rittern, der Polizei und einem fiesen russischen Wodka-Unternehmer (Stellan Skarsgård).

In einer Szene kommt das lustige Abenteurerpaar in eine heruntergekommene Siedlung, Fliegen schwirren um Tierkadaver, alle sprechen Arabisch, in einer Ecke brennt es. Sind das edle Mauren? Das Ende der muslimischen Herrschaft über die iberische Halbinsel liegt in der Welt Don Quixotes noch nicht lange zurück. Toby dagegen ist überzeugt: Das sind Terroristen, die beiden sind auf eine islamistische Terrorzelle gestoßen! Am Ende sind es dann doch nur illegale Migranten aus Nordafrika, die sich vor der Polizei verstecken. Gegenwart, Vergangenheit, Film und Wirklichkeit vermischen sich, manchmal meint man in der verwirrten Panik, mit der Adam Driver Toby spielt, das typische Gehaspel von Johnny Depp zu erkennen. Der Film hat in diesen sanften Bezügen auf die Romanvorlage und die eigene gescheiterte Version selbst eine zweite Ebene.

Man könnte dem Film eine kitschige Moral wie "Lebe deinen Traum!" unterstellen. Oder, noch flacher, eine Huldigung an die Macht der Fiktion. Ganz unrecht täte man ihm nicht. Aber dann ist es doch lohnend, einmal die Perspektive zu wechseln, auch wenn man dabei nur eine Illusion gegen eine andere tauscht, und scheinbar nicht zu vereinbarende Weltanschauungen aufeinanderprallen lässt.

The Man Who Killed Don Quixote , S, F, B, P 2018 - Regie: Terry Gilliam. Buch: Terry Gilliam und Toni Grisoni. Mit: Adam Driver, Jonathan Pryce, Stellan Skarsgård, Joana Ribeiro. Concorde, 133 Minuten.

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SZ vom 26.09.2018
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