Süddeutsche Zeitung

Kino:Gleich vor dem Gesetz

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"RGB", ein Dokumentarfilm über die Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg, ihre berühmtesten Fälle - und den Fan-Kult um sie herum.

Von Susan Vahabzadeh

Mitte November ist Justice Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Obersten Gerichtshof der USA, im Büro hingefallen und mit drei gebrochenen Rippen ins Krankenhaus gekommen. In den liberalen amerikanischen Medien war daraufhin einiges los, da war echte Besorgnis zu erkennen in den Augen knallharter Nachrichtenleute. Justice Ginsburg ist eine winzige, etwas bucklige alte Dame von 85 Jahren, an der ganz viele Amerikaner, besonders junge Frauen, hängen wie an ihrem Leben. Auch, weil sie, wenn sie mit ihrem persönlichen Trainer ihr Workout macht, ein Sweatshirt mit der Aufschrift "Super Diva" trägt. Vor allem aber, weil diese jungen Frauen davon überzeugt sind, dass sie ohne Justice Ginsburg, wie man so schön sagt, geliefert sind.

Haben Richter Fans? Ruth Bader Ginsburg hat sie auf jeden Fall

Dieses Gefühl durchzieht nun auch den Dokumentarfilm "RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit" von Betsy West und Julie Cohen. Haben Richter Fans? Ginsburg schon. Es herrscht ein richtiger Kult um sie, der schon vor Jahren begonnen hat. Es gibt T-Shirts und Tassen und gestrickte Puppen mit ihrem Gesicht, die man auf Amazon bestellen kann, neuerdings sogar eine Art Modepuppe, komplett mit Brille, Robe und Richterhammer. Notorious RGB nennen ihre Fans sie, nach dem Rapper Notorious BIG, und im nächsten Jahr wird noch eine Spielfilm-Biografie in die Kinos kommen. In den Zeiten von Donald Trump und Brett Kavanaugh scheint es wichtiger denn je, dass sie durchhält.

Es gibt sachliche Gründe, warum Ginsburg nicht nur irgendjemand am Supreme Court ist: Sie war, lange bevor Bill Clinton sie für den Supreme Court nominierte, schon eine sehr bekannte und sehr erfolgreiche Anwältin, eine, die das höchste Gericht von der anderen Seite her kannte: Sie führte ungezählte Prozesse für Frauenrechte in den Siebzigerjahren - sechs davon vor demselben Supreme Court, dem sie nun angehört, immer mit dem Ziel, diskriminierende Gesetzestexte zu verändern. Fünfmal hat sie gewonnen, der Film beschreibt einen Fall näher, den damals nicht alle sofort verstanden haben: Warum stritt sie in Weinberger vs. Wiesenfeld für die Rechte eines Witwers? Auch da ging es um Gleichberechtigung vor dem Gesetz.

Julie Cohen und Betsy West versuchen nun, beides einzufangen - die außerordentliche Karriere einer außerordentlichen Frau einerseits, und die seltsame Wendung, die diese Frau zu einem Teil der Popkultur werden ließ. Das geht schon los mit den Spitzenkrägen, die meist ihre Robe zieren. Manchmal sind es richtige Kunstwerke, die ihre Fans ihr schicken - die Robe mit dem Kragen aber ist auch ein Markenzeichen geworden, die angedeutete Spitze auf schwarzem Grund funktioniert inzwischen ohne sie.

Es gibt natürlich, an der anderen Seite des Spektrums, auch viele Ginsburg-Hasser, die kommen schon ganz am Anfang von "RBG" zu Wort - auch für die ist die Frau ein Stellvertreter. In diesem Fall für alles Schreckliche. Wofür aber genau steht sie? Sind sich ihre Fans tatsächlich bewusst, welche Rechtsgrundsätze sie verteidigt - jenseits von Roe vs. Wade, dem Präzedenzfall fürs amerikanische Abtreibungsrecht, das sie aufrechterhalten will? Steht sie dafür, dass sie damals Dinge erstritten hat, die heute selbstverständlich sind - dass man zum Beispiel weiblichen Soldaten dieselben zusätzlichen Bezüge zugestehen muss wie ihren männlichen Kollegen? Für den Mut und die Beharrlichkeit, die sie gehabt haben muss, als man ihr beim Studium in Harvard das Leben schwer machte, oder danach, als keine Kanzlei sie anstellte?

"RBG" ist als Film durchaus spannend - weil man die alte Welt der Ausgrenzung noch einmal erlebt, in der ihr Mann Martin Ginsburg eine Ausnahme war. Ein Steuerrechtler, der seine Frau für ein Rechtsgenie hielt, und den es nicht kümmerte, dass sie nicht kochen konnte. Das erinnert einen dann vielleicht daran, dass diese rechtlichen Zustände fragil sind, besonders in Amerika. West und Cohen haben den republikanischen Senator Orrin Hatch befragt, der sich sehr zivil und respektvoll äußert, wenn er auch selten Ginsburgs Meinung teilt - aber die Aufnahmen sind auch schon wieder eine Weile her. Würde er das noch sagen? Und selbst wenn: Hatch verlässt im Januar den Senat. Zivil und respektvoll stehen in der amerikanischen Politik gerade nicht hoch im Kurs.

Hätte sie zurücktreten sollen, als Obama noch ihre Nachfolge regeln konnte?

Manche der jungen Anwältinnen, die in "RBG" ihrem Idol nacheifern, sind sich dessen sicher bewusst. Aber diese Fans, Fans einer Richterin, die man hier sieht - die sind eine eigenartige Spezies. Sie nehmen begeistert zur Kenntnis, wenn Ruth Bader Ginsburg scharfe, abweichende Meinungen zu Entscheidungen des obersten Gerichts abgibt - aber ihre Begeisterung ist vielleicht doch zu oberflächlich, um zu begreifen, dass diese abweichenden Meinungen nicht die Entscheidung sind, mit der sie und alle anderen dann leben müssen.

"RBG" ist nicht die einfallsreichste Dokumentation aller Zeiten, aber wenigstens hat man am Ende etwas gelernt. Der Film ist ein bisschen ehrfürchtig im Tonfall, aber Cohen und West eifern dann doch nicht den Fans nach. Sie nehmen auch die Kontroversen wahr - dass beispielsweise Ruth Bader Ginsburg mit allen Traditionen brach und vor der Präsidentschaftswahl 2016 Donald Trump kritisierte; und dass sie nicht zurückgetreten ist, als Barack Obama ihren Sessel noch hätte neu besetzen können, ein Vorwurf, den sie zurückweist. Zu ihrer Verteidigung könnte man sagen, dass eine Neubesetzung am Supreme Court, die Obama versucht hat, gescheitert ist.

RBG , USA 2018 - Regie und Buch: Julie Cohen, Betsy West. Kamera: Claudia Raschke. Mit: Ruth Bader Ginsburg, Jane Ginsburg, Orrin Hatch. 97 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2018
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