Süddeutsche Zeitung

Kammermusik:Zwölftoninfarkt

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Wie vertont man einen Herzinfarkt? Die damit verbundene Todesangst? Die Spritze mitten ins Herz? Mal Arnold Schönberg fragen . . .

Von Harald Eggebrecht

Seltsamerweise gibt es für das Streichtrio eine viel kleinere Literatur als für das gleichsam universale Streichquartett. Aber wenn sich Meister wie etwa Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert doch auf die Dreierbande einlassen, kommen Werke voller Leidenschaft, Witz, Sehnsucht, Wehmut und tieferer Bedeutung dabei heraus.

Ein Stück für dieses Ensemble allerdings ist ein geradezu schockierendes Unikat, das Streichtrio op. 45 von Arnold Schönberg, 1946 komponiert. Das Stück in seiner ganzen Hysterie- und Todesangstkurve zu realisieren, gilt als extrem schwer. Wird es aber so packend und detailgenau in Technik und Ausdruck, zugleich souverän in den ruhigen Passagen und extrem attackierend in den gellenden Aufschreihöhepunkten durchlebt wie vom grandiosen Trio Zimmermann (Frank Peter Zimmermann, Violine; Antoine Tamestit, Viola; Christian Poltéra, Violoncello) im Konzert und jetzt in der Einspielung (Bis),droht einem beim Zuhören der Atem zu stocken.

Es ist die musikalische Reportage von Schönbergs eigenem Herzanfall und seiner Rettung im letzten Moment durch die Adrenalinspritze mitten ins Herz. Thomas Mann berichtet, dass Schönberg behauptete, "er habe darin seine Krankheit und ärztliche Behandlung samt ,male nurse' und allem übrigen dargestellt". Der Komponist hielt es darin sogar für "humoristisch". Die drei Musiker versenken sich in diesen bei aller Radikalität an Erlebnisaspekten und Klangfarbenexzessen so dramatisch knappen Krankheitsbericht, ohne perspektivlos in all dem Furor zu versinken. Eine außergewöhnliche Leistung.

Neben Schönbergs unerhörter Genietat wirken Paul Hindemiths zwei Streichtrios von 1924 und 1933 vergleichsweise gelassen. Doch auch hier gilt das Credo dieses wohl derzeit besten Kammermusikensembles überhaupt, den Anspruch der jeweiligen Musik in höchster Intonationsgenauigkeit, mit stärkster Phrasierungskonzentration und aufs Feinste ausbalancierter Klanglichkeit zu verwirklichen. Hindemiths Musik verlangt die trockene Akkuratesse der Neuen Sachlichkeit ebenso wie ein untrügliches Gefühl für herbe Kantabilität. Beides trifft dieses Trio wie kein anderes.

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Quelle:
SZ vom 02.09.2017
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