Süddeutsche Zeitung

Japan:Telefonterror der Wutbürger

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Die Schließung einer Ausstellung bei der Aichi Triennale zeigt, wie gut organisiert und mächtig der rechte Rand in Japan ist.

Von Thomas Hahn

Der Journalist und Medienaktivist Daisuke Tsuda sah die Ausstellung "Aus Mangel an Meinungsfreiheit" im Winter 2015 in einer kleinen Galerie im Tokioter Stadtteil Nerima. Er war "sehr gerührt" davon, wie er sagt, denn die Ausstellung griff ein Thema auf, das ihm am Herzen lag. Sie zeigte lauter Werke, die Organisatoren von Ausstellungen abgelehnt oder nachträglich entfernt hatten, weil sie damit Kontroversen riskierten. Zum Beispiel eine Collage von Nobuyuki Oura, das mit dem Bild des Kaisers Showa spielt und deshalb das Ehrgefühl vieler Japaner verletzte. Oder die Skulptur eines koreanischen Mädchens, das ausdruckslos neben einem leeren Stuhl sitzt. Die koreanischen Künstler Kim Seo Kyung und Kim Eun Sung setzten damit dem Schicksal der Zwangsprostituierten während der japanischen Besetzung Koreas von 1910 und 1945 und des Zweiten Weltkriegs ein friedliches Denkmal.

Tsuda war also gerührt. Als er vor zwei Jahren Direktor der Triennale in Aichi wurde, bat er die Organisatoren, die Ausstellung auch dort aufzubauen, unter dem etwas erweiterten Titel: "Aus Mangel an Meinungsfreiheit und danach." Und jetzt lernt er, was es heißt, die Tabus seiner Heimat in öffentliche Räume zu stellen. Zwei Tage nach der Eröffnung der Triennale am 1. August musste er die Ausstellung nach massiven Bedrohungen schließen; auch weil es Hideaki Omura so wollte, der Gouverneur von Aichi und Vorsitzende des Organisationskomitees. Er, Tsuda, ein wacher Japaner mit blondiertem Langhaar, muss sich seither vorwerfen lassen, universelle Freiheitsrechte einzuschränken.

Am Montag hat Daisuke Tsuda in Tokio eine Pressekonferenz gegeben zu dem Vorgang, der weltweit Aufsehen erregt hat, weil man Japan ja eigentlich als eine zwar strenge, aber im Großen und Ganzen doch freiheitliche Marktwirtschaft zu kennen glaubte. Und aus Tsudas ruhiger, sachlicher Erzählung konnte man zweierlei schließen. Erstens: Es gibt in Japan eine starke Gruppe rechter Wutbürger, die gut organisiert und mit vereinten Kräften die Freiheit der Kunst torpedieren, wenn diese etwas aus der Vergangenheit aufgreift, das nicht in ihr Weltbild passt. Zweitens: Diese rechten Wutbürger sind mächtig und treffen in der japanischen Konsensgesellschaft auf ziemlich wenig Widerstand.

Dann erreichte die Triennale auch noch die Drohung, die Ausstellung anzuzünden

Die Zeit für solche Entdeckungen ist gerade besonders brisant. Denn der Streit der konservativen japanischen mit der liberalen südkoreanischen Regierung über Japans Art, seine Geschichte als Kolonialmacht aufzuarbeiten, ist mittlerweile so sehr eskaliert, dass der Handel zwischen beiden Ländern stottert und die Südkoreaner ein Geheimdienstabkommen aufgekündigt haben. Ein Thema ist dabei das Schicksal der besagten Zwangsprostituierten oder Trostfrauen, wie sie meistens genannt werden. Südkorea fordert mehr Bewusstsein für deren Leid, Japan will seit einem kostspieligen Abkommen von 1965 nicht mehr daran erinnert werden. Die koreanische Mädchenstatue erinnert an das Schicksal der Trostfrauen. Der Druck auf die Aichi-Triennale zeigt deshalb, dass die einflussreichsten Kräfte in Japan gerade nicht auf Versöhnungskurs steuern.

So wie Daisuke Tsuda es darstellt, begann der Shitstorm gegen die Ausstellung nach der Vorberichterstattung durch verschiedene Medien am Eröffnungstag. "Eine bedeutende Anzahl von Telefonanrufen und E-Mails" habe die Triennale-Zentrale danach erreicht, deren Absender sich vor allem über die koreanische Mädchenfigur entrüsteten. Daisuke Tsuda sagt, die Triennale-Zentrale sei auf kritische Anrufe vorbereitet gewesen, man habe konfliktfeste Leute angestellt und mehr Telefonleitungen eingerichtet. Aber der Telefonterror muss zu groß gewesen sein. "Zumal der Protest so organisiert ablief", sagt Tsuda. Über soziale Medien sei Stimmung gemacht worden, im Internet habe eine Art Handbuch kursiert mit Tipps für die besonders eindringliche Beschwerde. "Mitarbeiter haben erzählt, sie hätten gehört, wie die Personen umgeblättert haben", sagt Tsuda, "die Anrufe waren sehr detailreich, immer die gleiche Routine." Dazu kam heftige Kritik aus der Politik, etwa von Politikern der erzkonservativen Regionalpartei Osaka Restoration Association, unter anderem von Osakas Bürgermeister Hirofumi Yoshimura. Nagoyas Bürgermeister Takashi Kawamura von der rechtsradikalen Partei Genzei Nippon (wörtlich Steuersenkung Japan) forderte, die Trostfrauen-Statue rauszuschmeißen.

Dann erreichte die Triennale per Fax auch noch die Drohung, man werde die Ausstellung anzünden. Zwei Wochen nachdem ein Amokläufer in Kyoto die Zentrale der renommierten Trickfilmfirma Kyoto Animation in Brand gesteckt und dabei 35 Menschen getötet hatte, war das eine besonders besorgniserregende Ankündigung. "Natürlich haben wir die Polizei verständigt", sagt Tsuda, "aber der Beamte sagte, das sei schwierig zu sagen, von wem die Drohung kommt, und man hatte nicht den Eindruck, dass die Ermittlungen vorangehen." Aichis Gouverneur Hideaki Omura empfahl die Schließung der Ausstellung. "Ich habe zugestimmt", sagt Tsuda. Die Rechten hatten gewonnen.

"Zensur!", ruft die Gruppe von Gesellschaftskritikern, die mit ihrem Projekt "Aus Mangel an Meinungsfreiheit" genau gegen diese ein Zeichen setzen wollten. Tsuda widerspricht. Sicherheitsbedenken und der Stress für die Mitarbeiter seien die Gründe gewesen für die Schließung: "Politischen Druck hat es nicht gegeben." Aber wollte nicht der Gouverneur die Schließung? Yuka Okomoto, eine Vertreterin des Ausstellungskomitees, sieht sich jedenfalls bestätigt in ihrer Skepsis, die sich von Anfang an in die Freude über Tsudas Interesse mischte. "Wir beobachten seit 2012 zunehmend Vorfälle von Hassreden und Menschenfeindlichkeit in Japan." Man habe die möglichen Probleme mit Telefonterror und Drohungen angesprochen. "Die Vorbereitungen zum Schutz der Meinungsfreiheit waren nicht ausreichend", sagt Yuka Okomoto.

Einige Künstler, vor allem ausländische, boykottieren die Triennale. Es gibt friedliche Demonstrationen und Briefe im Sinne der Ausstellung. Gouverneur Omura hat den Nagoya-Bürgermeister kritisiert für seine Forderungen, mit denen er gegen die Unabhängigkeit der Kunst und damit gegen die Verfassung verstoßen habe. Und ausgeschlossen erscheint es nicht, dass die Ausstellung noch einmal öffnet. "Ich würde mir das wünschen", sagt Daisuke Tsuda etwas erschöpft. Immerhin, die verhinderte Ausstellung hat einen Lärm verursacht, der die Freunde der Freiheit in Japan nachdenklich macht.

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SZ vom 03.09.2019
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