Süddeutsche Zeitung

Neubau auf der Museumsinsel:"Die teuerste Garderobe der Stadt"

Lesezeit: 3 min

Von Jens Bisky

Um mit London und Paris konkurrieren zu können, hat man in Berlin Marbach am Neckar imitiert. Wer dort das Literaturmuseum der Moderne gesehen hat, wird an und in der James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel vieles wiedererkennen, die Pfeilerverliebtheit, den Materialienprunk, den edel-steifen Klassizismus des Architekten David Chipperfield.

An diesem Freitag eröffnet die Bundeskanzlerin das neue Eingangsgebäude. Es wendet dem Kupfergraben eine hundert Meter lange, arg monotone Fassade - Pfeilerparade auf steinernem Sockel - zu und lockt die Besucher, die vom Lustgarten kommen, eine Freitreppe emporzusteigen. Hier finden sie den zentralen Anlaufpunkt, der auf der Insel mit ihren einzelstehenden Museumsgebäuden bisher fehlte. Sie können im großen Chipperfield-Neubau Tickets kaufen, im Museumsshop herumstromern, Kaffee trinken, Mäntel und Taschen deponieren, oberirdisch ins Pergamonmuseum eilen oder ganz unten rechts ins Neue Museum abbiegen, Vorträge hören, Fahrstuhl fahren und vor allem Treppen steigen. Die James-Simon-Galerie ist voller interessanter, auch schöner Details und weckt als Ganzes dennoch keine Begeisterung.

Von der Schlossbrücke aus ist die Westfassade des Neuen Museums, das David Chipperfield so saniert hat, dass Kriegsverluste als Verlust erkennbar sind, gut zu sehen. Aber in der Nähe verstellen die neun Meter hohen, sehr schmalen Pfeiler den Blick. Sie wirken wie strammstehende Zahnstocher. Dafür eröffnen sich von der Terrasse hübsche Perspektiven auf die Stadt, auf Zeughaus und Schlosskuppel. Man fühlt sich wie auf einem Balkon oberhalb des Kupfergrabens. Hier lässt sich auch außerhalb der Museumsöffnungszeiten flanieren, die Fensterplätze des Cafés werden begehrt sein. Der Stadtbalkon bietet eine großartige Kulisse für Berlin-Selfies. Zwischen dem James-Simon-Riegel und dem Neuen Museum ist ein weiterer öffentlicher Raum entstanden, ein Kolonnadenhof. Chipperfield greift das tradierte, von Friedrich August Stüler auf die Insel geholte Motiv auf und transformiert es ins abstrakt Zeitgenössische. Dabei verliert es alles Spielerische, Elegante und wird zur großen Geste, zum Versprechen höchsten Anspruchs.

Warum musste das Haus für lauter dienende Funktionen etwas Tempelartiges haben?

Dieses architektonische Pathos widerspricht der Funktion des Gebäudes, das zu Recht die "teuerste Garderobe der Stadt" genannt wird. Es ist nach Karl Friedrich Schinkels Museum, nach Neuem Museum, Alter Nationalgalerie, Bode- und Pergamonmuseum der erste große Neubau für diese einzigartige Kunstlandschaft. Und es wird, abgesehen vom vierten Flügel des Pergamonmuseums, wohl für lange Zeit der einzige Neubau auf der Museumsinsel bleiben. Gewiss war es da richtig, nicht zu geizen, sondern viel Geld auszugeben. Aufgrund des berüchtigt-schwierigen, schlammigen Untergrundes und diverser Verzögerungen beim Bau sind es 134 Millionen Euro geworden. Aber musste das Haus für lauter dienende Funktionen länger werden als Schinkels Säulenfront am Lustgarten? Warum musste es noch einmal etwas Tempelartiges sein? Für Garderobe, Shop, WC und Ticketschalter? Das hat, materiell wie ästhetisch, etwas Luxurierendes.

Erste Entwürfe Chipperfields für das zentrale Eingangsgebäude - Klötzchen aus Stahl und Glas - provozierten heftige Bürgerproteste, 2007 begann die Überarbeitung. Jetzt lassen sich alle Gestaltungsentscheidungen, die wichtigen Motive wie Pfeiler und Freitreppe, auf historische Vorbilder zurückführen. Und doch wirkt die Galerie in ihren Ausmaßen wie in der hell-grauen Sichtbetonfarbigkeit unangemessen aufdringlich inmitten des historischen Ensembles.

Im Inneren dominieren Wände aus, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, "glattgeschaltem Ortbeton", die betatscht, gestreichelt werden wollen, und französisches Walnussholz. Die Regale des großen Museumsshops könnten auch die Bibliothek eines vermögenden Privatgelehrten zieren. Eindrucksvoll ist der sechshundert Quadratmeter große Raum für Wechselausstellungen. Ende August wird sich dort die Gipsformerei der Staatlichen Museen präsentieren. Unter der Freitreppe liegt, Höhepunkt des Raumprogramms, das steil ansteigende Auditorium mit harten Bänken für dreihundert Zuhörer und zeltartiger Holzdecke.

Viel mehr ließe sich erzählen und zeigen über den Fortgang der Arbeiten und den "Masterplan Museumsinsel"

Zur Eröffnung informieren die Staatlichen Museen über den Namensgeber, den großen jüdischen Mäzen James Simon (1851 - 1932). Durch Baumwollhandel wurde er zu einem der reichsten Unternehmer im wilhelminischen Berlin. Großzügig setzte er sich für arme Kinder und Jugendliche ein, stiftete etwa das Stadtbad Mitte, gründete und förderte Vereine für Ferienkolonien, zum Schutz der Kinder vor Misshandlung und Ausnutzung, unterstützte den Hilfsverein deutscher Juden. Der Museumsdirektor Wilhelm von Bode beriet ihn bei Ankäufen für seine Kunstsammlung. James Simon schenkte den Museen nicht nur seine Renaissance-Sammlung, sondern auch die Funde der Ausgrabungskampagne in Ägypten, darunter die Büste der Nofretete, deren Rückgabe an Ägypten er am Ende seines Lebens empfahl.

Eine Löwenskulptur von August Gaul, die zur Sammlung des 1920 gestorbenen Verlegers Rudolf Mosse gehörte, empfängt die Besucher im Eingangsgebäude. Auch ein Pfahl ist zu sehen, der einst zur Gründung des Packhofes diente, den Schinkel um 1830 entwarf und der 1938 abgerissen wurde. An dessen Stelle steht jetzt die James-Simon-Galerie. Gemessen am architektonischen Aufwand sind die Informationen über den Ort, seine Geschichte, die Sammlungen nur karg und bestenfalls eine Abschlagszahlung. Viel mehr ließe sich erzählen und zeigen, auch über den vor zwanzig Jahren beschlossenen Masterplan Museumsinsel und den Fortgang der Arbeiten wäre hier zu informieren. Dem Humboldt-Forum ist zwar größere Aufmerksamkeit sicher, aber die Baustelle Museumsinsel ist komplizierter, teurer und ebenso wichtig.

Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die James-Simon-Galerie ihre praktischen Funktionen erfüllen kann. Skeptiker schauen sorgenvoll auf die nicht sehr breiten Treppen im Inneren. Werden sie zu Stau- und Stolperfallen, wenn das Gros der drei Millionen Besucher, die jährlich kommen, diesen Eingang nutzt? Wird die Berliner Stadtgesellschaft die Terrasse über dem Kupfergraben für sich erobern oder den Touristen überlassen? An diesem Wochenende beginnt ein neues Kapitel der Berliner Museumsgeschichte.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2019
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