Süddeutsche Zeitung

Im Kino: Lourdes:Gottes linker Haken

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Vorsicht, gefährliches Terrain: Jessica Hausners Film Lourdes bringt Erotik und Katholizismus zusammen - an einem wundersamen Ort.

Martina Knoben

Wer in diesen Tagen Erotik und Katholizismus zusammenbringt, wagt sich auf gefährliches Terrain. Vorsicht also bei Jessica Hausners "Lourdes", der sich in ein Zentrum katholischen Wunderglaubens begibt und das Vergnügungs- und Leidenspotential des Leibes ebenso zum Thema macht wie die Körperfixiertheit der katholischen Kirche.

Lourdes, das ist eine am Anfang des Films noch leere Bühne, der Frühstückssaal eines Pilgerhotels, in dem das Personal die Tische deckt, letzte Requisiten zurechtrückt, bevor die Gäste kommen. Zuerst rollen die Schwerbehinderten an, mit surrendem Motor und quietschenden Rollstuhlreifen. Zum "Ave Maria", dem ersten von nur drei Musikstücken, nehmen sie ihre Plätze ein, als folgten sie einer Choreographie. Dann kommen jene, die noch gehen können, und die Betreuer des Malteser Hilfsdienstes in Uniform oder Nonnentracht. Das Malteserrot der Kleidung wirkt als Signalfarbe, die ihre erotische Wirkung nicht verfehlen wird. Die Kamera blickt mit Abstand und von oben auf die Szene, als wolle sie sich keinesfalls einmischen.

Dieser distanzierte, gelegentlich sogar als "dokumentarisch" missverstandene Blick kennzeichnet den ganzen Film, dem diese Haltung von einigen Kritikern vorgeworfen wurde, als er auf den Festivals in Venedig und Hof lief.

Wenn man schon einen Film über Lourdes dreht, den magischen Ort des Katholizismus, an dem der christliche Erlösungsglaube seinen saftigsten Ausdruck findet, dann müsse man sich doch entscheiden, fordern diese Kritiker, ob man das Ganze nun für Hokuspokus hält oder nicht.

Jessica Hausner, von der man "Hotel" und "Lovely Rita" kennt, tut das nicht - jedenfalls nicht auf griffige, offensichtliche Art. Das fordert Widerspruch heraus, vor allem deshalb, weil ihr Film gewissermaßen embedded entstand, an Originalschauplätzen und mit Unterstützung der katholischen Kirche.

Umso bemerkenswerter ist die Souveränität der 37-jährigen österreichischen Regisseurin, die weder die Erwartungen der Kirche noch der Kirchenkritiker bedient, sondern beobachtend Fragen stellt - und den Zuschauer mit Wucht gegen den Fels des Glaubens und das Zentralmassiv des menschlichen Leidens prallen lässt. An beidem kann man herumkratzen und sich abarbeiten, beides aber entzieht sich letztlich dem menschlichen Zugriff.

Hausners kluger, kühl komponierter, aufwühlender Film bringt den Blick eines distanzierten Beobachters und Zweiflers mit der eingeschränkten Sichtweise und alternativlosen Hoffnung einer Schwerkranken zusammen. Sylvie Testud spielt Christine, eine an Multiple Sklerose erkrankte, fast völlig gelähmte junge Frau, die schnell ins Zentrum der Erzählung rückt. Christine - ein sprechender Name für eine Pilgerin - scheint gläubig zu sein, aber nicht sehr. Die Reise an den Marienwallfahrtsort in den Pyrenäen ist für sie, wie für die meisten ihrer Mitreisenden, vor allem ein Urlaub vom tristen Behindertenalltag und seiner Einsamkeit.

Mit Christine erlebt der Zuschauer die Inszenierungen dieses Ortes, als faszinierende Massenchoreographie, die Bedeutung schafft, den Einzelnen aber auch auf beklemmende Weise fernsteuert. Die Pilger reihen sich in die Schlange der Wartenden ein, um den Fels der Grotte zu berühren, in der 1858 Bernadette Soubirous die Unbefleckte Empfängnis erschienen sein soll.

Hoffnung auf ein Wunder

Sie empfangen zu Tausenden die Abendmahlssegnung, der Priester schwenkt eine melonengroße Hostie in einer Monstranz über seinem Kopf. Dann warten sie auf die Waschung in den heiligen Bädern - das alles wird nüchtern dokumentiert, manchmal mischte sich das Filmteam unter echte Pilger. "Akkurat und ausführlich" attestiert die katholische Kirche, habe Hausner das Lourdes-Erlebnis dargestellt.

Tatsächlich hat man den Eindruck, eine Zaubermaschine ganz aus der Nähe zu sehen - und gerät gleich in ihren Bann. Das liegt auch an der Dramaturgie der Auslese, die die Hoffnung auf ein Wunder mit sich bringt. Der Zuschauer fiebert mit wie bei "Germany's Next Topmodel": Wer wird das Rennen machen? Eine theologische Frage mit Sprengkraft: Warum heilt Gott nicht alle? Wie verdient man sich das Glück?

Überrascht registriert man Christines Eitelkeit, trotz der erzwungenen Fügsamkeit der Behinderung hat sie sich viel Eigensinn bewahrt. Zauberhaft ist die Mischung aus kindlicher Fragilität und Willensenergie, mit der Sylvie Testud ihre Rolle verkörpert. Christine kann kaum den Kopf bewegen und hat doch ein Auge auf den Malteser Kuno (Bruno Todeschini) geworfen, der sexy aussieht in seiner Uniform, aggressiv und soldatisch männlich.

Kuno wiederum schäkert mit der blutjungen Malteserin Maria (Léa Seydoux), Christines Pflegerin, die eine schwarze Strumpfhose und ein rotes Jäckchen zum weißen Schwesternkleid trägt und mit dem Ernst eines Kindes ihren Dienst an der Kranken versieht.

Der Katholizismus mag die Überwindung der weltlichen Hüllen predigen, seine Vertreter aber sind fleischlich und wirken in diesem Film nicht sonderlich fromm. Jessica Hausner skizziert ein paar Typen: missgünstige Klatschweiber in der Pilgergruppe; die männlichen Betreuer, die sich mit den Pflegerinnen vergnügen; einen Priester, der Christine seelsorgerische Gemeinplätze bietet; und - als abgründigste Figur - Christines einsame Zimmergenossin, Frau Hartl, die glaubt, Heilung herbeibeten zu können, die kranke Abhängige einer gesunden Unabhängigen allerdings vorzieht.

Grausamer Humor

Wenn Jessica Hausner den Leib Christi als goldglänzende Statue, eine in den Tod geflossene Pietà zeigt, dann steckt darin auch die ganze Ambivalenz einer Religion, die vom körperlosen, vom "eigentlichen" Leben im Jenseits predigt, dabei aber einen ekstatisch leidenden, halbnackten Mann am Kreuz ansieht.

Der grausame Humor, den Jessica Hausner in einigen Szenen offenbart, wirkt typisch österreichisch, genauso wie der Ernst, mit dem die Regisseurin ihrem Thema grundsätzlich begegnet. Beides erinnert an die Filme von Ulrich Seidl, auch er Österreicher und katholisch erzogen, der die aus der Körperlichkeit erwachsende Not der Menschen immer wieder thematisiert und ebenfalls einen Film über Gläubige gemacht hat, "Jesus, du weißt". Seidl ist der Meister dokumentarisch inspirierter Tableaus, wie sie in "Lourdes" auch Jessica Hausner schafft.

Ihre Bilder sind von überirdischer Schönheit und Klarheit, und sie bringen Himmel und Erde für kurze Momente tatsächlich zusammen. Christine, die eines Nachts plötzlich aufstehen kann und sich als Erstes gleich im Bad die Haare kämmt, genießt das Wunder, aber ahnt, dass ihr Glück bald wieder vorbei sein könnte. Gott ist launisch. Und er hat, wie es in einem Pop-Song heißt, einen harten linken Haken.

LOURDES, D 2009 - Regie, Buch: Jessica Hausner. Kamera: Martin Gschlacht. Schnitt: Karina Ressler. Mit: Sylvie Testud, Léa Seydoux, Gilette Barbier, Bruno Todeschini, Elina Löwensohn. NFP marketing & distribution, 99 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 31.03.2010
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