Süddeutsche Zeitung

Hörspiel "Simeliberg":Eine fatale Kombination

Lesezeit: 3 min

"Der gesunde Menschenversand" heißt ein kleiner Verlag aus Luzern, spezialisiert auf Spoken Word. Dort erscheint Michael Fehrs hochexplosiver Roman "Simeliberg" neu. Die Hörspiel-Adaption gehört dazu.

Von Florian Welle

"Grau, nass, trüb." Schon die ersten Worte von "Simeliberg" erzeugen jene besondere Stimmung, eine Mischung aus düsterem Alpenkrimi und wortmächtiger Sprachkunst, die Michael Fehrs erstmals im Jahr 2015 erschienenen Roman prägt. Der Eindruck potenziert sich noch, wenn man den Anfang so betont langsam und monoton vorträgt, wie es Fehr selbst als famoser Erzähler in der gleichnamigen Hörspieladaption macht, die der Bayerische Rundfunk gemeinsam mit Radio Bremen zwei Jahre nach der Buchveröffentlichung produziert hat.

Nun ist das preisgekrönte Hörspiel in der Regie von Kai Grehn zusammen mit dem als Taschenbuch neu aufgelegten Roman quasi als Gesamtkunstwerk bei "Der gesunde Menschenversand" erschienen: Beide Werke stehen ebenso für sich, wie sie sich ergänzen. Der kleine, in Luzern ansässige Verlag ist spezialisiert auf Spoken Word, weshalb es nur folgerichtig ist, dass alle Werke des Schweizer Schriftstellers Fehr - neben "Simeliberg" sind das bislang ein Drama, ein Musikalbum sowie mehrere Erzählbände - hier verlegt werden.

Griese ist ein Wiedergänger der Figuren Kafkas. Nur dass er ein geladenes Gewehr mit sich führt

Michael Fehr, 1982 geboren und aufgewachsen in Gümligen bei Bern, ist nicht nur Autor, sondern auch Musiker und Performer. Alle seine Arbeiten sind auf das gesprochene Wort hin verfasst und damit Klangkunst. In "Simeliberg" waten die Protagonisten nicht durch den Matsch, den es hier zuhauf gibt, sondern sie "pflotschen". Geht einer unsicheren Schrittes, so wankt er nicht, sondern "pfoselt". Beide Wörter sind tiefes 19. Jahrhundert und lassen sich im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm finden. Auf Jacob und Wilhelm Grimm geht auch das Märchen "Simeliberg" über zwei ungleiche Brüder zurück, arm und rechtschaffen der eine, reich und gierig der andere, das Fehr wohl als Folie für seine Geschichte gedient hat.

Hinzu kommt die spielerische Verwendung von Redewendungen, Verbalinjurien und zumindest für hiesige Ohren ungewohnt klingenden Helvetismen wie "halbbatzig" für stümperhaft und "Beschüttloch" für Jauchegrube. Fehr hat eine angeborene Sehbehinderung, weshalb er alle seine Texte laut in ein Diktafon spricht, bevor sie dann am PC verschriftlicht werden. Das Schriftbild von "Simeliberg" erinnert daher auch eher an ein Langgedicht als an einen Prosatext.

Im Mittelpunkt steht der Gemeindsverwalter Anatol Griese, der beauftragt wird, den alten Landmann Schwarz abzuholen, um ihn der Schweizer Sozialhilfebehörde zu übergeben. Irgendetwas scheint mit dem kauzigen Waldschrat nicht zu stimmen. Zum einen schwadroniert er unablässig davon, dass die Menschen noch in diesem Jahrhundert den Mars bevölkern werden. Zum anderen besitzt er einen Batzen Geld unbekannter Herkunft. Zuletzt wird seine Frau vermisst. Doch niemand weiß, was mit ihr passiert ist.

Also lenkt Griese seinen Land Rover vom lichten Berg, wo die Bewohner Namen wie Weiss und Wyss tragen, hinunter zu Schwarzʼ einsam gelegenem Bauernhaus. Darüber heißt es, es hocke unten "im Sumpf", sei ein "Drecksloch", ein "Un- und Abort". Eine Talfahrt in wörtlicher wie übertragener Bedeutung, in deren Verlauf Griese immer mehr in die Geschichte "verwickelt" wird, bis es für ihn kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Griese, ein Wiedergänger der Figuren Kafkas. Nur dass er ein geladenes Gewehr mit sich führt.

Auch das gut neunzigminütige Hörspiel von Kai Grehn lässt zu keiner Zeit Zweifel an dem Fall seiner Hauptfigur aufkommen. Allein schon dadurch, dass der Name Griese hier immer mit hartem K wie Krise ausgesprochen wird. Martin Feifel, der es wie wenige Schauspieler versteht, einen Charakter zugleich dünnhäutig und barsch wirken zu lassen, ist dieser Griese.

Gegen den bäuerlichen Stoizismus eines Schwarz, den Heinz-Josef Braun spricht, hat sein Griese keine Chance. Obwohl er als Einziger die Verführungsqualitäten des Bauern erahnt, bleibt er als Sohn eines deutschen Vaters in der archaischen Welt der Schweizer Berge ein Außenseiter, auf den man nicht hört. Eben "ein Scheisser". Wo die Behörden bei Schwarz nur eine lustig-verquere "Weltraumeuphorie" sehen wollen, durchschaut er die ultranationalistischen Parolen, mit denen Schwarz junge Männer einfängt, bis diese "eine neue Ordnung von Starken" errichten wollen. Ideologie plus Esoterik plus Waffen: Fehrs mitunter hochexplosiver Text ist heute brisanter, als er es bei seinem Erscheinen war.

Kai Grehn nähert sich den Inhalten seiner anspruchsvollen Adaptionen immer auch über die Musik. So hat er in seinen jüngeren Hörspielen mit dem Electronic-Duo Tarwater ("Burroughs - The Cat Inside") und den US-Amerikanern CocoRosie zusammengearbeitet ("Mögen Sie Emily Dickinson?"). Für "Simeliberg" hatte er sich das deutsche A-cappella-Trio Muttis Kinder geholt. Das variiert das vielleicht älteste Schweizer Volkslied "Vreneli ab em Guggisberg" auf immer neue und dabei höchst wundersame Weise und verleiht so der abgründigen Geschichte ihren ganz eigenen Rhythmus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6281284
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.