Süddeutsche Zeitung

Neue Hörbücher im November:Françoise in der Metro

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Die Zukunft wird fragmentarisch sein: Die Hörbücher des Monats stammen von Françoise Sagan, Alfred Harth und Herbert Rubinstein.

Von Florian Welle

Ein langgezogener Trompetenstoß gibt den coolen Ton vor, der Ulrich Lampens Hörspieladaption von Françoise Sagans berühmten Roman "Bonjour tristesse" prägt. Später wird ihn die Bigband des Hessischen Rundfunks um ein ausgesprochen sommerliches Flair erweitern. Eine Gitarre spielt sich in den Vordergrund, easy und entspannt, und man wähnt sich umgehend mit der Ich-Erzählerin Cécile in einer mondänen Villa am Mittelmeer ( DAV, 1 CD, 1 Stunde 16 Minuten).

Es sind Ferien, die die Siebzehnjährige gemeinsam mit ihrem Playboy-Vater Raymond und dessen Geliebter Elsa, einer rothaarigen "Halbweltdame", verbringt. Man lebt in den Tag hinein, plaudert über die Liebe, das Begehren. Cécile verführt einen Studenten, ansonsten döst sie: "Dieser Sommer hält mich mit seiner ganzen Wucht im Sand fest." Eine fein austarierte Idylle in flirrender Hitze, die außer Balance gerät, als die Modeschöpferin Anne Larson auftaucht. Ebenso streng wie elegant, klug wie hochmütig will sie Raymond heiraten. Cécile bewundert und fürchtet zugleich die Freundin ihrer früh verstorbenen Mutter. Sie sieht ihre Freiheit in Gefahr und beginnt zu intrigieren, was tödlich endet.

1954 erschienen, machte das schmale Buch die damals gerade einmal 18-jährige Sagan über Nacht berühmt. Ein Jahr später übersetzte es Helga Treichl ins Deutsche. Es verkaufte sich millionenfach. Vor ein paar Jahren dann gab Rainer Moritz "Bonjour tristesse" ein apartes Update. Auf seiner Übersetzung fußt die mit Elisa Schlott als Cécile im Zentrum stimmig besetzte HR-Produktion. Aus ihr spricht eine junge Frau zwischen Selbstbewusstsein und Egoismus, Lebenslust und Ennui. Mal lacht sie laut und dreckig, mal klingt sie müde und verhangen. Für die Neuausgabe von 2017 schrieb Sibylle Berg das Nachwort: "Egal, ob Frauen humorvoll, kämpferisch, selbstbewusst, mit faktischem Wissen und studiertem Intellekt in Erscheinung treten, es herrscht immer noch großes Befremden, dass sie reden können. Dass sie Ansprüche haben."

Der Schriftsteller und bildende Künstler Wolf Pehlke schrieb 1990 Briefe an den Jazzmusiker und Multimedia-Künstler Alfred 23 Harth. Darin berichtet er über seinen existenzielle Dimensionen annehmenden Paris-Aufenthalt: "Die Zukunft wird fragmentarisch sein."

Diese Briefe verarbeitete Harth auf seiner ein Jahr später erschienenen CD "Sweet Paris" - eine freie und artifizielle Text-Klang-Collage. Jazz trifft auf O-Töne aus der französischen Hauptstadt, Métro-Lärm, Babygeplärr, Brunnengeplätscher. Dazu lesen eine amerikanische Schauspielerin und Passanten aus den Briefen vor. Es geht um das Aussetzen des Sinns. Man versteht wenig und fühlt sich an Helmut Heißenbüttels Plädoyer für "eine akustische Literatur und literarische Akustik" erinnert.

Auf dem Label Moloko plus ist nun "Sweet Paris" remastered wiedererschienen. Ergänzt um das 2021 für den SWR produzierte Hörstück "Sweet Paris Reloaded", in dem sich Alfred 23 Harth gemeinsam mit Peter Fey noch einmal des jahrzehntealten Materials annehmen und es neu montieren ( 2 CDs mit einer Laufzeit von 64 Minuten und 62 Minuten).

Entstanden ist eine künstlerische Verbeugung vor dem 2013 gestorbenen Pehlke - hier steht der Inhalt der expressiven Briefe im Vordergrund. Unterlegt mit einem fast schon poppig-flockigen Sound, werden sie mit glasklarer Härte von Wolfram Koch, Julia Mantel und Nicole Van den Plas gelesen. Wolf Pehlke wird als Voyeur und Flaneur mit "überreizten Nerven" erkennbar, der tagsüber über die Friedhöfe streift und nachts durch die Bistros. Ein verlorener Beobachter, der die Welt immer noch liebt wie einst als Kind, und gerade deshalb an ihr verzweifelt.

Die Zeitzeugen des Holocausts werden immer weniger. Gleichzeitig wächst der Antisemitismus. "Wider das Vergessen" heißt deshalb der Untertitel des Hörbuchs "Meine vier Leben", erschienen im Hörbuchverlag Griot (1 CD, ca. 72 Minuten) Der heute 86 Jahre alte Herbert Rubinstein, langjähriger Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, erzählt von seiner Kindheit in Czernowitz - zu den Bekannten der Eltern gehörten der Opernsänger Joseph Schmidt, Rose Ausländer, Paul Celan.

Rubinstein überlebte den Holocaust, ging nach dem Krieg zuerst nach Amsterdam, später nach Düsseldorf. Seine Geburtsstadt besuchte er erstmals 2017 wieder. Das Hörbuch basiert auf Gesprächen, die Sabine Schiffner mit ihm führte. Das Konzept dafür stammt von Jan Rohlfing, der auch die Musik komponierte. Sie nimmt Anleihen bei Walzer, Klezmer und Kammermusik und greift Rubinsteins eindrückliche Erinnerungen auf. Erinnerungen, die unter dem ermutigenden Lebensmotto stehen: "Das Gute wird gewinnen."

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