Süddeutsche Zeitung

Google Art Project:Unter die Bindehaut

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Noch nie dagewesen und milliardenfach verpixelt: In einem Google-Projekt stellen Museen wie Tate Britain und die Uffizien ihre Meisterwerke ins Netz. Die Publicity-Vorteile liegen auf der Hand.

Alexander Menden

Bitte denken Sie daran, dass hier unbezahlbare Kunstwerke an den Wänden hängen und geben Sie mit Ihren Taschen und Stativen acht!" Leicht genervt klingt die Warnung einer Mitarbeiterin der Tate Britain an die Journalisten, die sich durch den Saal 9 des Londoner Museums quetschen. Wer das Angebot nutzt, das hier vorgestellt wird, muss sich allerdings keine Sorgen machen, irgendein Gemälde zu beschädigen, obwohl er manchen Kunstwerken so nah wie nie zuvor kommen kann: Das "Art Project", vom Internetkonzern Google in Zusammenarbeit mit 17 der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt erstellt, ermöglicht virtuelle Besuche in so weit auseinanderliegenden Sammlungen wie dem Amsterdamer Van-Gogh-Museum, der St.Petersburger Eremitage und dem New Yorker Metropolitan Museum of Art.

So, wie Projektleiter Amit Sood es bei seiner Präsentation darstellt, war das Ganze - dem lockeren Firmenimage entsprechend - eine Liebhaberunternehmung kunstbegeisterter Google-Mitarbeiter. Vor 18 Monaten eröffneten sie Museen den Plan, eine Online-Datenbank hochaufgelöster Bilder aus ihren Sammlungen anzulegen. Das Ergebnis ist ein unentgeltlicher Online-Zugang zu mehr als 1000 Gemälden aus den teilnehmenden Häusern, darunter die Tate Britain, die Londoner National Gallery, das Rijksmuseum, die Uffizien und die Kollektionen des Palastes von Versailles.

Für sich genommen ist das freilich nichts Neues. Viele Museen bieten bereits digitalisierte Versionen ihrer Sammlungen, und die EU-geförderte Digitalbibliothek Europeana umfasst unter anderem Werke der bildenden Kunst. Doch Google setzt mit seinem Art Project unbestreitbar neue Maßstäbe: Mit einer Streetview-Kamera wurden die Säle der teilnehmenden Museen abgefilmt, was nun einen 360-Grad-Rundgang und eine Betrachtung im Gesamtkontext gestattet. Eine Suchfunktion ermöglicht es, die Werke eines bestimmten Künstlers in allen teilnehmenden Sammlungen zu lokalisieren und zu vergleichen. Zwar werden die meisten digitalisierten Werke von den Museen selbst bereitgestellt, aber 17 Bilder - jeweils eines aus jeder Kollektion - wurde von Google mit einer Auflösung von sieben Milliarden Pixeln abgelichtet. Das ermöglicht ein Heranzoomen an die Oberfläche, bis in die feinsten Farbrisse hinein, die in Wirklichkeit und mit bloßem Auge nicht möglich wäre. Auf Edouard Manets "Im Wintergarten" aus der Berliner Alten Nationalgalerie etwa erkennt man eine leichte Bindehautentzündung im linken Auge des porträtierten Jules Guillemet.

"Das ist eine bisher nie dagewesene Erfahrung der Reproduktion", sagt Günther Schauerte von den Berliner Staatlichen Museen. Die Alte Nationalgelerie und die Gemäldegalerie sind die einzigen deutschen Teilnehmer. Die Gefahr, der virtuelle könnte den tatsächlichen Museumsbesuch ersetzen, sieht Schauerte (ähnlich wie Tate-Chef Nicholas Serota) nicht, im Gegenteil: "Je besser man vorbereitet ist, ein desto besserer Museumsbesucher ist man auch", meint er. Die Zusammenarbeit mit Google und die spielerische Herangehensweise bringe nur Vorteile: "Wir kommen mit Unterstützung eines Weltkonzerns an eine Öffentlichkeit heran, die wir sonst nie erreicht hätten - und wir zahlen nichts zu."

Obwohl Google laut Vizepräsident Nelson Mattos keine kommerziellen Interessen verfolgt, liegen die Publicity-Vorteile dieser innovativen Art von Kunstsponsoring auf der Hand. Google will bei der Suche nach digitalisierter Malerei zweifellos zur zentralen Anlaufstelle werden. Nelson Mattos und Amit Sood rechnen fest damit, dass sich die Online-Sammlung in den kommenden Jahren noch stark vergrößern wird. Jedenfalls wird sich, wenn "googleartproject.com" ein Erfolg wird, der Mitmachdruck auf jene Häuser erhöhen, die bisher noch zögern - darunter so wichtige wie der Louvre und der Prado.

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SZ vom 02.02.2011
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